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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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zuwenig.«
    »In manchen Ländern schreiben sie das Datum umgekehrt«, warf Håkon Sand eifrig in die Debatte. »Die fangen mit dem Jahr an.«
    »Sicher. Dann haben wir einen Mörder, der am 78.   64.   1991 geboren ist.«
    Eine peinliche Pause folgte, aber Hanne Wilhelmsen verfügte über genügend Herzenswärme, sie nicht allzu lange dauern zu lassen.
    »Das Blut wird untersucht. Außerdem muß es hier irgendwo Fingerabdrücke geben. Wir sollten sehen, daß wir nach Hause kommen. Hier können wir nicht mehr viel ausrichten. Ich hoffe, es macht nichts, daß ich dich angerufen habe. Bis morgen!«
    »Morgen? Morgen ist doch Feiertag.«
    »Verdammt, stimmt«, sagte sie und unterdrückte ein Gähnen. »Ich boykottiere Nationalfeiertage, aber ein freier Tag ist ja doch ganz nett.«
    »Du boykottierst den Nationalfeiertag?«
    Er war ehrlich geschockt.
    »Ein Tag für Trachten, Flaggen und anderen nationalistischen Quatsch. Ich kümmer’ mich dann lieber um die Blumenkästen auf dem Balkon.«
    Er wußte nicht so recht, ob das ernst gemeint war. Wenn ja, dann hatte sie zum erstenmal etwas über sich erzählt. Und darüber freute er sich auf dem ganzen Weg nach Hause. Obwohl er den Nationalfeiertag liebte.

DIENSTAG, 18. MAI
    Der Nationalfeiertag war von der guten alten Art gewesen. Die Sonne hatte ihre Strahlen über das Land und die knallgrünen Frühlingsbäume ergossen. Die königliche Familie hatte treu winkend auf ihrem geräumigen Balkon gestanden. Mürrische, müde Kinder in eisverschmierten Miniaturtrachten hatten ihre kleinen Flaggen hinter sich hergeschleift, obwohl die Eltern immer wieder anfeuernd hurra riefen. Heisere, angetrunkene Abiturienten hatten getobt, als sei dies ihr allerletzter Tag und als müßten sie sich für den Weg ins Jenseits die höchstmögliche Promillezahl zulegen. Das norwegische Volk hatte es sich mit Grundgesetz und Zuckerei gemütlich gemacht, und alle stimmten überein, es sei ein wunderbarer Tag gewesen.
    Abgesehen von Oslos Polizisten. Sie sahen, was zu sehen den meisten anderen zum Glück erspart blieb: jede Menge Ordnungswidrigkeiten, einige etwas zu betrunkene Zeitgenossen, viele allzu freimütige Teenager, den einen oder anderen besoffenen Autofahrer und ein paar häusliche Prügeleien; das alles war vorausgesehen worden und ließ sich deshalb einigermaßen reibungslos in Ordnung bringen. Ein ungewöhnlich brutaler Mord und fünf weitere Messerstechereien dagegen waren durchaus nicht normal. Hinzu kamen fünf neue Vergewaltigungen. Der 17.   Mai dieses Jahres würde als der härteste aller Zeiten in die Geschichte eingehen.
    »Ich begreife nicht, was in diese Stadt gefahren ist. Ich fass’ es einfach nicht!«
    Hauptkommissar Kaldbakken blickte auf eine längere Dienstzeit zurück als die anderen Anwesenden. Er war kein Mann großer Worte, meist murmelte er nur Undeutlichkeiten. Aber das hatten sie alle verstanden.
    »So was habe ich noch nie erlebt!«
    Die anderen starrten ins Leere und schwiegen. Allen war unangenehm klar, was diese Welle von Kriminalität zu bedeuten hatte. »Überstunden«, murmelte schließlich einer und starrte wütend auf eine an der Wand angebrachte Collage, Bilder vom letztjährigen Sommerfest. »Überstunden, Überstunden. Und die Alte ist stocksauer.«
    »Können wir Überstunden denn überhaupt finanzieren?« fragte eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren, die sich ihre optimistische Weitsicht offenbar erhalten hatte.
    Ihr wurde nicht einmal eine Antwort zuteil, nur ein tadelnder Blick des Abteilungsleiters, der den erfahreneren Anwesenden erzählte, was sie längst wußten.
    »Tut mir leid, Leute, aber wenn das so weitergeht, müssen die Urlaube verschoben werden«, sagte er.
    Drei der elf Anwesenden hatten für August und September Urlaub angemeldet, und nun sprachen sie ein stilles Gebet, um für ihre eigene Weitsicht zu danken. Bis dahin mußte die Lage sich doch beruhigt haben.
    Sie verteilten die Fälle, so gut es ging. Sie machten nicht einmal den Versuch, die schon vorhandene Arbeitsmenge zu berücksichtigen. Alle waren gleichermaßen überlastet.
    Hanne Wilhelmsen wurden die Morde erspart. Zum Ausgleich erhielt sie zwei Vergewaltigungen und drei Körperverletzungen. Erik Henriksen, der Polizist mit dem flammenden Schopf, sollte sie unterstützen. Diese Aussicht schien ihn glücklich zu machen. Hanne seufzte tief, erhob sich, als die Aufgaben verteilt waren, und fragte sich auf dem ganzen Rückweg in ihr Büro, wo um alles in der Welt

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