Selige Witwen
Kunst des Delegierens will auch gelernt sein.
Als ich mit meinem Reisegefährten an einem strahlendschönen Tag die letzte Etappe in Angriff nahm, waren wir beide bester Laune. Zum Glück hatte Bela bereits verschmerzt, daß wir keines der Kätzchen mitgenommen hatten. Mit mäßigem Erfolg versuchte er, mir ein neu erlerntes, gleichwohl rührend altmodisches Kinderlied beizubringen. »Stein auf Stein, Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein!«
sang er unermüdlich und klatschte dabei zwei Legosteine aus seinem geheimen Schatzkoffer aneinander. Ich war unendlich dankbar, das Kind wieder bei mir zu haben.
Als wir in Florenz ankamen, wurde uns das Tor geöffnet, noch bevor ich aussteigen und klingeln konnte. Müde von der langen Fahrt, freute ich mich über diesen Service, und auch Bela jubelte, als Mario ihn zur Begrüßung durch die Luft wirbelte. Dann erst reichte mir der Gärtner seine rauhe Hand und sah dabei eher bekümmert aus.
»Wo sind Cora und Emilia?« fragte ich.
Mario war ein hoffnungsloser Stotterer. Im Laufe der Zeit hatten wir gelernt, ruhig abzuwarten, wenn er kein verständliches Wort herausbrachte; wenn er nämlich nervös wurde und sich aufregte, war Hopfen und Malz verloren.
Offensichtlich gab es eine wichtige Information, die er mir vermitteln wollte, aber er brachte nur ein klägliches Au, au, au heraus. Ich reichte ihm seine Tafel und die Kreide, und er schrieb in steifer Schrift: AUTOAMBULANZA.
Erschrocken wartete ich auf eine kommentierende Erklärung.
OSPEDALE fügte er hinzu.
Schon ein paarmal hatte unsere treue Seele Emilia über Herzbeschwerden geklagt, ohne daß wir sie ernst genommen hatten. Mußte Emilias und Marios spätes Glück so rasch schon enden? Eigentlich war es doch die statistische Pflicht der Männer, noch vor ihren Frauen den Löffel abzugeben.
Und was den Löffel anbelangte - eine begnadete Köchin war leider am allerwenigsten zu ersetzen! »Infarto cardiaco?« fragte ich mit schwermütig-gedämpfter Intonation.
Plötzlich mußte Mario grinsen und schüttelte den Kopf, aber seine Zunge löste sich noch immer nicht.
Zum Glück kam Emilia just in diesem Moment nach Hause, von einem Herzinfarkt war keine Rede. Ihr Bericht zeichnete sich durch melodramatische Höhepunkte aus: Cora sei
vorgestern etwas blaß und verfroren eingetroffen, habe aber Mario und Emilia dennoch in ihr Lieblingslokal eingeladen. Sie freue sich so auf ein gutes Essen, hatte sie behauptet, aber dann fast nichts angerührt.
»Und woran denkt man sofort, wenn es einer jungen Frau aus heiterem Himmel übel wird?« fragte Emilia und sah mich bedeutungsvoll an. Cora sei früh zu Bett gegangen, habe sich aber am nächsten Tag übergeben und gegen Abend heftige Bauchschmerzen und Fieber bekommen. Ein herbeigerufener Arzt ließ die Patientin auf der Stelle ins Krankenhaus bringen, wo man ihr heute den Blinddarm herausgenommen habe.
»Und morgen kannst du sie besuchen«, schloß Emilia, »leider hatte ich überhaupt keine Zeit, für euch zu kochen.
Hoffentlich habt ihr unterwegs etwas gegessen.«
So kam es, daß wir an unserem ersten Abend in Italien mit vertrocknetem Weißbrot und der fetten Leberwurst meiner Schwiegermutter vorliebnehmen mußten. Aber diese kleine Enttäuschung war bereits vergessen, als ich am nächsten Tag in der warmen Spätsommersonne im Garten saß und mit Emilia Espresso trank.
»Ich hoffe, ihr habt keinen Mist gebaut«, sagte sie und sah mich forschend an, »wenn man so lange nichts von euch hört, hat das meistens nichts Gutes zu bedeuten.«
»Natürlich haben wir allerhand angestellt«, sagte ich, »aber alles nur zum Wohl der Menschheit! Was meinst du, welche Zeit für einen Krankenbesuch günstig wäre?«
Emilia riet mir, ein wenig abzuwarten. »Gestern war Cora noch gar nicht richtig wach... «
Es war ein ungewohntes Bild. Weiß wie ihr gestärktes Hemd lag Cora in einem hellen Einzelzimmer aufgebahrt, die roten Haare fluteten malerisch auf das Kopfkissen, in ihre linke Armvene tropfte eine Infusion. »Was machste für Sache!«
unternahm ich einen kläglichen Versuch, meine Freundin aufzuheitern.
»Dabei hatte ich solche Lust auf Spaghetti alle vongole«, meinte sie, »aber jetzt ist Haferschleim angesagt. Wie war es bei Jonas?«
»Er will sich scheiden lassen«, sagte ich.
Cora kräuselte mißbilligend die Nase. »Damit verdirbt er mir ja den Spaß, dich ebenfalls zur Witwe zu machen.
Aber vielleicht vollbringe ich sowieso keine Heldentaten mehr,
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