Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
Unbekümmert ließ ich den Wagen in der sommerlichen Einsamkeit stehen und begann, wilde Wicken zu pflücken. Ich war in heiterer Stimmung und sang aus voller Brust: Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt...
    Gerade war ich bei der letzten Strophe und Den lieben Gott laß ich nur walten angekommen, als es in unmittelbarer Nähe furchtbar rumste. Ein viel zu schnell fahrender Wagen hatte an Coras Ferrari, der zugegebenerweise in einer Kehre parkte, die geöffnete Tür halb abgerissen.
    Eine Frau in schneeweißer Hose und pinkfarbenem Hemd hielt ein Stückchen weiter an und stieg aus ihrem ebenfalls ramponierten Luxusjeep. Langsam kamen wir aufeinander zu. Es war zwölf Uhr mittags.
    Die Fremde hatte allzu goldblond gefärbtes Haar und stöckelte recht mühselig über die Steinbrocken; auf den zweiten Blick sah ich, daß sie in etwa Emilias Alter hatte, im Gegensatz zu ihr aber spindeldürr war. Als wir in Reichweite für ein klärendes Gespräch kamen, schluckte ich die Flüche hinunter und fragte wohlerzogen, ob sie verletzt sei.
    Sie schüttelte den Kopf, mit einem Blick zu meiner Autotür, die nur noch an einem Fädchen zu hängen schien. Gleich in die Offensive gehen, nahm ich mir vor und sagte streng: »La mia macchina e danneggiata, es e colpa sua!«
    In gebrochenem Italienisch fragte sie beschämt, ob der Ferrari überhaupt noch fahrtüchtig sei. Anscheinend hatte sie gar nicht vor, um Schadenersatz, Schuld- und Versicherungsfragen zu feilschen, sondern entschuldigte sich mehrmals für ihr Mißgeschick und forderte mich eher kleinlaut auf, bei ihr einzusteigen. Ihrem Atem nach hatte sie erst kürzlich einen Aperitif zu sich genommen.
    »Sollen wir lieber Englisch sprechen?« fragte ich.
    Daraufhin wurde die Unbekannte gesprächiger. Ihr Name sei Pamela Lachnit, und sie wohne bloß zwei Kilometer weiter. Wir könnten dort einen Kaffee trinken, ihr Gärtner würde sich unterdessen meinen Wagen ansehen, ihn gegebenenfalls abschleppen und mich anschließend ans Ziel meiner Wünsche bringen. »Was wollten Sie überhaupt in dieser Wildnis?« fragte sie.
    »Olivenöl kaufen«, antwortete ich, »aber ich habe mich offensichtlich verfahren. Der Wagen gehört meiner Freundin, sie wird sich maßlos aufregen. Wir wohnen in Florenz.«
    »Sind Sie Deutsche? Sagen Sie ruhig Pam zu mir, wir Amerikaner sind ein unkomplizierter Menschenschlag.«
    Erst bei diesem Stichwort fiel bei mir der Groschen: Das Schicksal führte mich geradewegs in die Höhle der Löwin.
    »Vielleicht sollten Sie nichts im Auto liegenlassen«, empfahl Pamela. »Es ist zwar ziemlich einsam hier, aber gerade deswegen ginge ein Dieb nicht das geringste Risiko ein.«
    Ich öffnete den Kofferraum, in dem eine Menge Plunder herumlag, den ich noch nicht ausgeräumt hatte. Hinter dem Rücken meiner Begleiterin fischte ich zwischen leeren Coladosen, Legosteinen und angebissenen Müsliriegeln das Methadonfläschchen heraus und steckte es nebst dem verpackten Matisse, einer Leinenjacke von Cora, Taschenlampe und Kreuzschlüssel in eine große Plastiktüte. Dann kletterte ich auf den Beifahrersitz des Jeeps und erkannte bald, daß ich wirklich dort angekommen war, wo mich Cora hingeschickt hatte.
    Pam fragte, ob ich lieber ein Eis, einen Espresso oder - sie sah mich nicht gerade vorurteilsfrei an - ein Münchner Bier haben wolle, und rief nach ihrer maid.
    »Darling, sagen Sie ihr selbst, was Sie trinken wollen! Diese Sprache werde ich nie manierlich lernen!« bat Pamela, außerdem sollte ich dem Gärtner die Sache mit dem Auto erklären, das sei ihr erst recht zu kompliziert.
    Obwohl sicherlich jeder Gast die Terrasse mit der zauberhaften Aussicht auf die Chianti-Berge zum Kaffeetrinken bevorzugt hätte, führte sie mich ins Wohnzimmer.
    Seit ich damals mit Dino und Cora hier eingefallen war, sah alles verändert aus, denn selbstverständlich hatte die neue Besitzerin das Haus nach eigenen Wünschen eingerichtet.
    Da auch ich meine Vorurteile gegen andere Nationalitäten nur ungern aufgab, mußte ich Pamela widerstrebend einen relativ guten Geschmack zubilligen.
    An den Wänden hingen impressionistisch gemalte Landschaften, die mir in ihrer heiteren Luftigkeit durchaus gefielen.
    Als der Kaffee gebracht wurde und ich meine Bilderbetrachtung beenden mußte, stellte sie anerkennend fest: »Es gefällt mir, daß Sie meiner Sammlung so viel Aufmerksamkeit schenken, es gibt viele Besucher, die nehmen keine Notiz davon. Wieso leben Sie

Weitere Kostenlose Bücher