Semmlers Deal
den ersten Blick war die Lage hoffnungslos. Sie gehörte zu den Frauen, die von einer einmal gefassten Meinung nicht mehr abweichen, nicht in hundert Jahren. Die Art, wie sie sich gab, wie sie redete, alles deutete daraufhin.
Andererseits – es gab auch gewisse andere Signale: sie war gemeinsam mit ihm gegangen. Um ihn zur Rede zu stellen, klar. Warum hatte sie das nicht im Beisein Koslowskis getan? Weil der nicht zählte. Weil Koslowski unzurechnungsfähig war, unter Kuratel stand. Koslowski hatte bei dieser Frau nichts mehr zu melden, er war im Generalverschiss; die Summe, die er verzockt hatte, musste gigantisch sein. Darauf deutete auch, dass ihr Denken um Geld zu kreisen schien. Die Sache mit dem Auto ... dann die Erwähnung der Tochter: »Ich habe eine Tochter« hatte sie gesagt, nicht »Wir haben eine Tochter« (auch so ein Detail, das er noch nicht zu deuten wusste)– aber wo lag hier die Schwierigkeit? Die Erziehung einer Tochter mochte einfach oder kompliziert sein – wieso war dabei »pragmatisches« Denken gefordert? Und was hatte das alles mit Koslowskis Unfall zu tun? Mit dem Unfall gar nichts. Aber mit der verlorenen Summe. Die der Tochter das Studium hätte ermöglichen sollen – in diesem Kontext gab pragmatisches Denken einen Sinn. Allerdings.
Da hätte er einhaken können. Wenn es um Geld geht, kann man immer einhaken. Erst recht bei Frauen, die sich selber zum Pragmatismus ermahnen. Sie hätte ebenso gut sagen können: »Also schön, Meister, wenn du willst ... aber eins muss dir klar sein: billig wird’s nicht!«
Aber an einem Arrangement dieser Art hatte er kein Interesse. Die Frau zu kaufen, kam nicht in Frage. Er wollte geliebt werden von ihr. So, wie er sie liebte, genau so. So ausschließlich.Keine Kompromisse. Er gehörte ihr, jetzt schon. Dann musste sie aber auch ihm gehören, voll und ganz. Anders war das nichts.
Das war unmöglich. Natürlich. Der erwachsene Semmler hatte genug Frauen erobert, um zu wissen, wo er es zumindest versuchen konnte – und wo es aussichtslos war. Ursula Koslowski stand auf der Skala der Aussichtlosigkeit weit oben. Dort, wo schon keine Schrift mehr war ... es brauchte ein Wunder, um diese Frau zu gewinnen.
Er parkte den Jaguar in der Garage. Der Platz daneben war leer. Der Carina stand schon auf dem Schrottplatz. Semmler stieg aus. Hier war er gestanden und hatte den Gebrauchtwagen geopfert. Um den Jaguar hatte es ihm leid getan. Knickrig, ausgesprochen knickrig. War das gefährlich? Wer wusste schon, wie das Universum reagierte, auf, sagen wir, überzogene »Gewinnerzielungsabsicht«. Frau Mießgang wusste das. Aber Frau Mießgang war nicht greifbar. Er hatte keine Zeit, sie zu suchen, er brauchte die Hilfe des Universums sofort. Jetzt, in diesem Augenblick. Also: nicht knausern. Das Universum sollte merken, dass es ihm ernst war. Problem: bis jetzt war es um Dinge gegangen, um Materielles, dessen Wert sich universal in Geld ausdrücken und vergleichen ließ. Was er jetzt vom Universum wollte, war ein Mensch, er müsste dafür also einen anderen Menschen opfern. Aber dieser Mensch musste ihm selber auch etwas wert sein, wie das Feuerzeug und der Carina etwas wert gewesen waren. Nicht viel, nur etwas. So einen Menschen hatte er nicht. Er war ein Einzelkind gewesen, seine Eltern tot, seine Verwandten bedeuteten ihm nichts. Keiner und keine von ihnen taugte als Feuerzeug oder Kombi. Das Anbieten eines solchen Opfers wäre vom Universum vielleicht schlecht aufgenommenworden, das konnte er nicht riskieren. Sicherer war es, auf der materiellen Seite zu bleiben und dafür den Preis zu erhöhen.
Das Haus. Das ganze Haus. Er trat aus der Garage auf den kiesbestreuten Vorplatz. Im ersten Stock standen Fenster offen, Bellmeyer irgendwo am Putzen, das war ihm nun egal. Er stellte sich mit dem Gesicht zum Haus auf und sagte so laut, dass man es durch die offenen Fenster im ersten Stock hören konnte: »Ich opfere dieses Haus für Ursula.«
S ie stritten sich. Koslowski und seine Frau. Natürlich stritten sie sich, sie hatte, das begriff er jetzt, den Streit nur verschoben, bis er aus dem Krankenhaus entlassen war. Humanitäre Gründe gewissermaßen. Es hatte allerdings schon im Auto angefangen, an dessen Steuer sie saß, weil er sich noch erholen musste.
»Wie lang kennst du Semmler schon?«, hatte sie gefragt, und er hatte wahrheitsgetreu geantwortet: »Seit der vierten Klasse Gymnasium«, weil Semmler nämlich sitzen geblieben war und die vierte
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