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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Fehler von allen, weil die Frauen nichts mehr hassen, als nicht gehört zu werden – aber heute blieben alle negativen Konsequenzen aus. Denn sie schien selber nicht genau zu wissen, was sie von sich gab,sie plauderten auf Autopilot, vor allem über das Essen. Über das Essen.
    Und schauten. Sie schauten sich unverwandt an. Das gegenseitige Anschauen wurde nur unterbrochen, wenn er etwas aus der Küche holen musste; als er zum Beispiel mit der gebratenen Ente hereinkam, ruhte ihr Blick auf ihm, nicht auf dem knusprigen Vogel, und sie löste diesen Blick nur, wenn sie sich ein Stück Fleisch abschnitt. Auch er schaute sie an. Und redete. Sie hörte zu, dann redete sie. Über die Fehlspekulation allerdings kein Wort, weder von ihm noch von ihr. Sondern über die Vorlieben und Abneigungen, was Kunstrichtungen, Literatur und Musik betraf; sie kamen darauf, dass sie beide Jazz mochten und stellten generell fest, dass sie in allem und jedem zu weit über neunzig Prozent übereinstimmten; es war eines jenes Gespräche, die geführt werden, weil beide glauben, so ein Gespräch führen zu müssen. Denn es soll die ideologische Rechtfertigung für das Folgende liefern, die Begründung, obwohl das Folgende schon feststeht, seit der Blick des einen auf den anderen fiel, der eine Körper den anderen als Körper wahrgenommen hat, und keiner dieser Körper eine Rechtfertigung braucht, um mit dem jeweils anderen zu tun, was getan werden muss.
    Das Gespräch versickerte, keiner hörte mehr zu, dem Gegenüber nicht, sich selbst nicht, es war nur noch leises Geräusch, nichtiges Gemurmel – auf dem Weg zurück zur bloßen Lautäußerung. Seufzen, Stöhnen, Schrei. Dazwischen gab es eine Pause, in der sie das Dessert aßen. Bayerische Creme. Dann stand er auf, kam auf sie zu, auch sie erhob sich.
     
    A ls sie um elf immer noch nicht zu Hause war, hatte Koslowski ein Problem. Ursula besaß kein Handy. Und sie war auch nicht mit dem Taxi zu Semmler gefahren, sondern mit dem Hilux, obwohl sie das Auto nicht mochte. Nun hätte eben er ein Taxi nehmen müssen, das tat er nicht. Er nahm das Fahrrad. Linde Juninacht voller Blütendüfte, die er nicht zuordnen konnte. Koslowski hatte Angst, dass ihr etwas passiert war. Dann hätte ihn doch, sagte die Stimme der Ratio in seinem Kopf, die Polizei verständigt. Oder? Ja, wahrscheinlich, höhnte die Stimme der Panik im selben Kopf, unsere Polizei – das sind doch richtige Kompetenzbolzen, das wissen wir doch alle, oder? Er hätte die Krankenhäuser anrufen sollen, falsch: das eine städtische oder das große Unfallkrankenhaus in Feldkirch, zwei Anrufe, er hätte Bescheid gewusst. Aber das fiel ihm ein, als er den halben Weg durch die Stadt schon hinter sich hatte. Typischer Aktionismus; er musste ihr recht geben, ohne Nachzudenken aufs Rad hüpfen. Wenn sie nicht da war, fehlte der mäßigende Einfluss.
    Er trat heftiger in die Pedale, begann zu schwitzen. Die Nacht war nicht warm, aber schwül. Koslowskis Angst wuchs. Er stellte sich vor, was nun geschehen würde, er konnte sich nicht wehren gegen den Zwang, die nahe Zukunft auszumalen. Die stand deutlich vor ihm. Eine dunkle Semmlervilla, davor der Kiesplatz ohne den Hilux, ein verschlafener Semmler, der ihm in der Haustür mitteilte, seine Frau sei schon vor einer Stunde gefahren ... und so weiter. Was würde er dann tun? Heimradeln und die Polizei anrufen.
    Er ließ das Rad am Tor stehen, stieg über die Barriere und ging zum Haus. Das Bild des leeren Platzes hatte sich so inihm verfestigt, dass er den geparkten Offroader erst als seinen erkannte, als er direkt davor stand. Schwindel packte ihn, er stütze sich am Auto ab, um nicht hinzufallen. Das Auto war da, sie war da. Nichts war geschehen. In diesem Augenblick schickte er ein heißes, etwas wirr formuliertes Gebet zum Himmel, in dem sich Dank für die Gnade, dass seiner Ursula nichts passiert war, mit dem festen Vorsatz verband, von nun an alles so zu machen, wie sie es wollte.
    Nun blieb nur noch eines: kehrt zu machen, möglichst schnell heimzuradeln und zu hoffen, dass sie dort erst nach ihm ankam; wie hätte er erklären können, dass er mitten in der Nacht mit dem Rad durch die Gegend fuhr? Er sah auf die Uhr. Es war halb zwölf. Nirgends brannte Licht. Wo fand die Besprechung statt? Wahrscheinlich in einem Raum auf der anderen Seite. Er versuchte einzuschätzen, was es bedeuten konnte, dass es so lang dauerte. Sie hatte davon nichts gesagt, als sie gegangen war, kein »wart nicht

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