Semmlers Deal
persönliche Beleidigung – und das Gute sei, dass man Verluste auch wieder wettmachen könne, das sei überhaupt das einzig Gute an Verlusten, eben darüber müssten sie reden. Bei einem guten Abendessen. Beide, es betreffe sie ja auch beide.
Während er diesen Schwachsinn von sich gab, beobachtete er sie. Koslowskis Ausdruck war leicht zu deuten. Auf seinem Gesicht spiegelte sich nichts weniger als reines Glück. Er glaubte Semmler jedes Wort. Er war vom Haken. Der treffliche Semmler würde sich etwas ausdenken, eine Konstruktion, etwas Verzwicktes, auf das er, Koslowski, in hundert Jahren nicht käme – und eben das würde die zweihunderttausend wieder zurückbringen. Und alles würde gut werden. Alles.
Die Miene der Frau blieb ihm verschlossen, er konnte nichts weiter darin sehen als das, was er bei seiner ersten Erwähnung finanzieller Rettung schon gesehen hatte: eine Spur neutralen Interesses, eine Spur nur, aber deutlich und nicht zu bezweifeln.
Es folgte das Ritual des Nummernaustauschens, er brauche die ihre, sagte Semmler – wegen der Terminabsprache sei das nötig, der Schulfreund würde am Montag entlassen, vielleicht aber schon am Samstag, habe der behandelnde Arzt mitgeteilt, dann könnten sie dieses Essen schon am Wochenendeabhalten, das heißt, wenn er, Koslowski, sich stark genug dazu fühle ... Koslowski beeilte sich zu versichern, er würde schon jetzt aus dem Bett steigen, aber die Ärzte ...
Semmler stand auf. Raus hier, bevor sie es sich anders überlegte. Koslowski war kein Gegner. Er würde tun, was seine Frau verlangte. Wenn sie wollte, dass er auf dem Bauch zu Semmlers Villa kroch, würde er es tun, er hatte die nächsten zehn, zwanzig Jahre nichts mehr zu melden. Semmler verabschiedete sich.
Auch Frau Koslowski stand auf, küsste ihren Mann auf die Wange; es war, wie Semmler bemerkte, eher ein Lippenstreifen als ein Kuss, zweifelhaft, ob Koslowski die Berührung gespürt hatte. Das war gut, sehr gut. Dass sie nun das Zimmer mit ihm verließ, war noch besser und nicht zu erwarten gewesen. Er hatte vorgehabt, die beiden allein in der dicken Suppe aus Schuld und Beschuldigungen köcheln zu lassen. Jetzt wusste er nicht, was er noch mit ihr bereden sollte, Semmler mangelte es an Spontaneität, wie er sehr genau wusste, lieber machte er Pläne und handelte danach.
»Sie wollen uns also helfen?«, fragte sie auf dem Flur.
»Natürlich, er ist schließlich ...«
»Ich weiß nicht, warum«, unterbrach sie ihn, »aber ich glaube Ihnen nicht. Sie sind nicht der Mann, der anderen hilft.« Sie blieb stehen, sah ihn an.
»Wie kommen Sie darauf, Sie kennen mich doch gar nicht?«
»Der erste Eindruck entscheidet, meistens ist er richtig. Für mich sind Sie ein beinharter Geschäftsmann, und aus. Nehmen Sie mir das nicht übel, ich mache Ihnen keinen Vorwurf, es gibt solche Leute und muss sie geben, daran hängt die Wirtschaft, oder? Und in Ihrem Fall ...«
»Warum, glauben Sie, bin ich dann her gekommen?« Er war jetzt kalt und ruhig.
»Wegen des Autos! Es war doch Ihr Wagen, den er gerammt hat. Sie sind nur nicht drin gesessen, sondern dieser Angestellte ... wie geht es dem?«
»Er heißt Bellmeyer, und es geht ihm gut, er war angeschnallt ...«
»Schön ... ich lasse ihm gute Besserung wünschen.«
»Ich werde es ausrichten.« Was redeten sie da herum? Wieso fing sie jetzt mit Bellmeyer an?
»Ich kann mir selber nicht erklären«, sagte sie, »was Sie wegen des Autos noch von uns wollen. Den Schaden zahlt doch die Versicherung – oder gibt’s da ein Problem?«
»Nein, soweit ich weiß. Sie glauben tatsächlich, ich gehe meinen Schulfreund Koslowski im Spital besuchen, um irgendeinen ... Schadenersatz zu fordern? Geld?«
Sie antwortete nicht, sah ihn nur an.
»Die Karre war zehn Jahre alt, sowieso halb Schrott, Herrgott noch mal!«
»Was ist es dann?«
»Was soll dann sein, was meinen Sie damit?«
»Sie wollen uns helfen? Ich will wissen, warum.«
»Ich bin in die Schule mit ihm gegangen ...«
Sie lachte auf. »Ja, ja, schon gut! Die Schule ... natürlich. Aber macht nichts, ich komm schon noch dahinter ... wissen Sie, ich muss jetzt sehr pragmatisch denken ... ich habe eine Tochter, das ist nicht so einfach ...« Sie verstummte. Bis zum Ausgang wurde nichts mehr gesprochen. An dieser Stelle etwas zu erwidern, war absolut kontraproduktiv. Ihm war auch nicht mehr nach Reden.
An der Pforte verabschiedeten sie sich und gingen getrennteWege. Im Auto begann er zu überlegen. Auf
Weitere Kostenlose Bücher