Semmlers Deal
heutigen Tag.
Er stand da und redete, das ging immer besser, er hörte sich selber nicht zu. Koslowski sagte auch etwas, Semmler merkte sogar, dass es um dasselbe ging, die Gefahren der Spekulation, und wie gut es doch sei, dass Koslowski nicht sein ganzes Geld eingesetzt habe, sondern nur einen kleinen, verschmerzbaren Teil. Während dieser Lügen beobachtete Semmler die Frau; ein Schatten flog ihr übers Gesicht, sie wusste es also, dass sie ... nun ja, pleite waren. Vermutlich waren sie das. Aber so war das eben mit einem wie Koslowski. Wenn er sich einmal was traut, geht es daneben. Dafür aber gründlich. Der einzige Makel an ihr, dem verehrungswürdigen Wesen mit dem Haarhelm aus Gold, war eben jene Geistesverwirrung, die sie Koslowski hatte wählen lassen – wer es fassen kann, der fasse es.
Sie wusste, wie es stand, der Mann hatte es ihr erzählt, die Katastrophe musste so groß sein, dass keine Möglichkeit bestand, sie zu vertuschen. Das tat Semmler weh, nicht der Untergang Koslowskis als Mensch und Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft – der wäre früher oder später ohnehin unvermeidlich gewesen – sondern das Vertrauensverhältnis zwischen diesen merkwürdigen Eheleuten. Vertrauen von beiden Seiten. Gut, er hatte sie nicht gefragt und eine Dummheit begangen. All seine anderen Dummheiten hatte sie bis jetzt verhindert, da war sich Semmler sicher, sie war der gute Geist des Unglücksraben. Aber danach hatte sich Koslowski ihr anvertraut, im Wissen, dass ihm verziehen würde. So schlau, das richtig einzuschätzen, war er schon. Und sie deckte ihn vor seinem Schulfreund Semmler, stattmit höhnischen Bemerkungen den wahren Verlust preiszugeben. Warum tat sie das?
Na, aus Liebe! Einfach aus Liebe. Sie hat ihn schließlich geheiratet. Die sonst übliche Abkühlung war hier ausgeblieben. Und das hieß, sie würde sich keinem anderen zuwenden, bei ihrem unglückseligen Glückspilz Koslowski bleiben. Der Mann ihres Lebens, oder wie das hieß. Semmler hatte das alles für sentimentalen Unsinn gehalten, jetzt sah er, dass es so etwas in der realen Welt gab, ganz unspektakulär existierte es, bot sich seinen entsetzten Augen dar wie ein Mammut, das um die Hausecke biegt. Obwohl es doch schon zehntausend Jahre ausgestorben sein sollte.
Das Gespräch versandete. Frau Koslowski hatte nur Augen für ihren Mann, wenn sie Semmler ansah, während er sprach, geschah es aus mühsam aufrecht erhaltener Höflichkeit, die auch nur den wortreichen Erklärungen der beiden Schulfreunde geschuldet war, wie dieses »entsetzliche Missverständnis« zustande gekommen war, was für »Unsummen« Semmler bei demselben Deal verloren hatte. Daran erinnerte sich Semmler später, die Worte »Schulfreund« und »Unsummen« fielen mehrmals; »Schulfreund« hin, »Schulfreund« her, beide verwendeten den Ausdruck, erweckten den Eindruck, hier bestehe seit der vierten Klasse eine intensive Beziehung; ob sie es glaubte, war nicht zu erkennen.
Nur über eines wurde nicht gesprochen: den Unfall. Weder, wie es dazu gekommen war, noch, welche Folgen er gehabt hatte. Koslowski war verletzt, aber nur leicht, von der Gehirnerschütterung würde nichts bleiben, die angeknacksten Rippen taten weh, was sollten sie sonst tun? Das war eben so. Kein Dritter hätte aus ihrem Gespräch entnehmen können, dass hier A den Wagen von B gerammt hatte unddafür kein verkehrstechnisch einsichtiger Grund vorlag. Semmler war sich nicht sicher, ob die Frau von diesem Detail wusste; ob Koslowski gewagt hatte, ihr auch das zu erzählen. Der geplatzte Harlanderdeal und der Unfall standen in keinem Zusammenhang, waren so offensichtlich zufällig, dass ihre zeitliche Abfolge nicht einmal erwähnt wurde – Semmler hätte Koslowski auch zu Hause aufgesucht, um die Sache zu klären. Diesen Eindruck wollten sie vermitteln.
Es gelang ihnen nicht. Ursula wusste, wem das gerammte Auto gehörte, sie hatte über Dr. Breuss Erkundigungen eingezogen. Breuss war ihr Anwalt. Ihr Mann hatte nicht nur das ganze Geld verzockt, sondern auch den Tippgeber gerammt, dass der gar nicht in dem Wagen saß, hatte er nicht mitgekriegt. Nicht einmal das. Ihr war zum Heulen. Aber das tat sie nicht, sondern sie saß hier am Bett dieses Idioten und bemühte sich zu verstehen, was vor sich ging.
Semmler sah ganz anders aus, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Besser. Ja, doch. Besser. Dabei hatte ihn ihr Mann, der Idiot, in seinen Erzählungen nicht herabgesetzt, klein geredet, im Gegenteil.
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