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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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gelacht. Erst für eine Nähmaschine, dann für bewusstloses Todesröcheln. So nähern wir uns der Wahrheit, dachte er, Schritt für Schritt.
    Rein rechtlich, dachte er, kann ich gar nicht sagen, ob das wirklich Ursula ist. Ob die Oberschenkel wirklich Semmler gehören. Zu sehen war von ihm nur das Beinpaar und die Hände, die sich sanft auf die weißen Hüften gelegt hatten. Es könnten zwei wildfremde Personen sein. Jetzt, da er in der Tür stand, hörte er auch das Keuchen des Mannes; sie dominierte akustisch, er sah nur ihren Hinterkopf, blond, aber blond waren viele. Die Laute, die sie ausstieß, hatte er von ihr noch nie gehört.
    Der Schock erfasste ihn, er begann am ganzen Körper zu zittern. Auch der weiße Hintern auf dem Bett wurde lebendiger, schneller, was an der spießartigen Verbindung der beiden Leiber lag, der untere gab die passive Haltung auf und begann nach oben zu stoßen, aus dem Nähmaschinenton wurden kleine Schreie, die wurden lauter, die Bewegungen unkoordiniert, ein Beben überlief die leuchtenden Hinterbacken, ein unterdrücktes Röhren erfüllte den Raum, hoch und tief. Und Gott wurde angerufen. Oh, mein Gott, mein Gott! Obwohl doch Ursula gar nicht religiös war. Von Semmler wusste er es nicht.
    Er zog sich zurück, setzte einen Fuß hinter den anderen, verschwand über die Treppe. Er dachte an nichts. Nachdenken war unnötig. Die Frau war ihm fremd. Denn in den Jahrenihrer Ehe hatte er mit ihr das nie erlebt, diese Art der Vereinigung, nie diese Laute gehört. Kein Nähmaschinenton, kein Röhren.
    Vielleicht war sie es ja gar nicht. Wie hätte er sich vergewissern sollen? Bis zur Couch vorgehen, ihr auf die Schulter tippen, damit sie den Kopf wendete und ihn ansah? Entschuldigen Sie die Störung, ich wollte nur schauen, ob Sie meine Frau sind?
    Die ersten Tropfen fielen, als er ins Freie trat. Donnergrollen erfüllte die Atmosphäre. Draußen alles unverändert, die Schalen auf dem Tisch, die Gläser umgefallen. Der Wind hatte die Terrassentür weit aufgestoßen. Fahrlässig waren die, jeder Fremde konnte einfach hereinspazieren und weiß Gott was anstellen. Weiß Gott was.
    Er schaute nicht auf die Uhr, es war aber so spät, dass sie nicht mehr nach Hause kommen würde; jener Punkt, bis zu dem sie noch Ausreden gebrauchen konnte, und seien sie noch so dünn, war überschritten. Sie würde also hier bleiben, die Nacht mit ihm verbringen, das hieß: schon am nächsten Tag musste sie den Ehebruch gestehen, das hatte sie einkalkuliert, Ursula wusste, was sie tat. Wenn sie jetzt nicht kam, zog sie damit einen Schlussstrich unter eine siebzehnjährige Ehe, es würde keine Heimlichtuereien geben, keine Anrufe, bei denen die Gegenseite auflegte, wenn er dranging, kein Trennungstheater, nur einen scharfen Schnitt.
    Der erste Blitz brachte die Idee, die ihn nicht mehr losließ. Im Licht des ersten Blitzes sah er seinen eigenen Schatten an der Wand, die er angestarrt hatte wie ein Idiot, sicher fünf Minuten; dieses weiße Licht erhellte seinen Verstand, dazu einen Teil, der bisher immer im Dunkeln gelegenhatte. Als ob man eine Dachbodentür aufmacht, die länger verschlossen war, als sich irgend jemand erinnern kann. Da finden sich Dinge, die niemand vermutet hat.
    Es begann zu regnen. Und es war kalt geworden. Er drehte um, ging zurück ins Haus, flüsterte vor sich hin. Da kann ich jetzt leider gar nichts machen. Wenn es jetzt nicht angefangen hätte zu regnen – wer weiß? Ich wär heimgefahren. Ich wär wahrscheinlich heimgefahren. Kein Skandal, alles ruhig und ordentlich über die Bühne bringen. Aber dass es jetzt regnet, ist ja wohl ein Zeichen, das ich kaum missdeuten kann, oder? Es regnet und ist kalt, das erfordert Wärme. Hitze. Er hatte die verschlossene Tür aufgemacht.
    Und wartete. Oben war es still geworden. Eingeschlafen. Alle beide.
    Der Fremde, der durch alle Räume schritt, ohne Licht zu machen, war so fremd auch wieder nicht, immerhin der Ehemann der einen Person und der älteste Schulfreund der anderen. Einen Augenblick überlegte er, ob er nicht hinaufgehen und sie betrachten sollte, wie sie auf diesem Bett lagen, erschöpft, weggetreten, ausgepumpt, in tiefem Schlaf. Schnarchte Semmler? Ursula tat es nicht, zu hören war auch nichts. Er verzichtete auf den Anblick. Das wäre alles unerfreulich, das wollte er nicht sehen. Er beeilte sich mit seiner Arbeit, das Gewitter erleichterte sie, erhellte die Räume im Erdgeschoss mit Blitzen.
    Bei einem so rationalen Charakter wie

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