Semmlers Deal
früher in dieser Nacht umklammert hatte, nur diesmal von hinten; dann mit Armen und Beinen, dann nur noch mit den Armen, die Hosenbeine rissen ein, die letzte Strecke etwas zwischen Rutschen und Springen, Stuhlhöhe. Er sagte, sie solle zurücktreten und ließ los. Fiel auf den Rücken, die Kiesel taten weh. Aber nicht sehr. Er konnte aufstehen. Auch ihr fehlte nichts. Sie rannten vom Haus weg.
Das Handy war im Haus geblieben und verkohlte. Sie rannten auf die vordere Seite und brachten den Hilux in Sicherheit. Am Tor fiel ihnen auf, dass es nicht aufging. Die Fernsteuerung lag im Jaguar, der Jaguar stand in der Garage, der Schlüssel zur Garage lag in der Eingangshalle auf einem Tischchen, das zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr existierte.Semmler gab auf. Er nahm Ursula an der Hand und half ihr über das Tor. Der Regen wurde stärker. Sie liefen zur Rhombergsiedlung, um jemanden herauszuläuten. Das erwies sich als nicht notwendig, denn ein gewisser Anton Hinteregger fuhr in seinem neuen Lada Niva (ein in Dornbirn seltenes Auto) eben jetzt an der Semmlerschen Villa vorbei. Er kam von einer Sitzung des Bienenzuchtvereins, die sich in die Länge gezogen hatte; er sah die beiden barfüßigen, durchnässten Gestalten auf sich zukommen, ein Seitenblick auf das brennende Haus klärte die Zusammenhänge. Er hielt an und telefonierte schon, als sie ihm noch die Lage schilderten.
Die Schaulustigen bildeten ein winziges Häuflein an der Grundstücksgrenze, das sich erst nach dem Eintreffen der verschiedenen Wehren, die wegen des geschlossenen Schiebetors zunächst nicht auf den Hof einfahren konnten, vergrößerte. Es bedurfte einiger Machinationen, bis es aufging; die Hoffnung der Zuschauer, das Gestänge durch den größten Löschzug niedergewalzt zu sehen, erfüllte sich nicht. Das Gebäude war in dieser Phase keine Augenweide mehr. Der Dachstuhl zusammengestürzt, der Brand hätte in ein paar Stunden von selber aufgehört. Dennoch wurde getan, was getan werden musste, es wimmelte von Männern mit Helmen in schwarzem Plastikoutfit, da das Gewitter aufgehört hatte, hörte man die technischen Begleitgeräusche der Maschinen und Schwerfahrzeuge, die Rhombergsiedlung wurde wach.
Im Scheinwerferlicht sah die Villa klein aus, fast mickrig. Das hochgetürmte Dach war weg, die Mauern mit den leeren Fensterhöhlen hätten auch von einem Schafstall sein können.
Semmler und Ursula machten ihre Aussagen bei der Polizei; Semmler sprach von Blitzschlag.
Reporter waren auch da, es gab Fotos, Semmler versuchte erst gar nicht, etwas zu vertuschen. »Es geht nur schneller so«, sagte er zu Ursula, als man sie abgelichtet hatte. »Sie entkamen dem Inferno!« würde am nächsten Tag über dem Bild stehen. Auch dem begriffsstutzigsten Landesbewohner würde sich allerdings schon nach Überfliegen des Artikels die Frage aufdrängen, was diese hinreißende, nur mit einem Sommerfähnchen bekleidete Frau mitten in der Nacht bei einem Mann zu suchen hatte, mit dem sie nicht verheiratet war. Und die Frage würde sich von selbst beantworten.
Niemand verdächtigte Koslowski.
In derselben Nacht hatte ein Blitz am anderen Ende der Stadt eines jener alten Holzhäuser entzündet, für die sie berühmt war. Das Zusammentreffen zweier Brandfälle unterstrich die Gefährlichkeit des Gewitters vom Wochenende, das, so wollte es die Presse der folgenden Tage, einen Beweis für die gestiegene Gefährlichkeit der Gewitter überhaupt liefere, und warum sei die gestiegen? Natürlich wegen des Treibhauseffekts, womit die seit Jahren übliche Rückführung aller extremen Witterungserscheinungen auf die causa prima wieder einmal gelungen war. Sie könnten genau so gut von Hexerei schreiben, dachte Koslowski, als er die Artikel las, die eine Erklärung war so logisch wie die andere; an den Treibhauseffekt glauben alle bis auf ein paar Ketzer, wie es sie zu allen Zeiten gegeben hat. Wo ist der Unterschied zwischen dem 17. und dem 21. Jahrhundert? Es wurden heute keine Hexen mehr verbrannt, um das Übel abzustellen ...
Koslowski hatte schon immer dazu geneigt, in Zeichengroßer emotionaler Belastung auf abseitige Themen auszuweichen und sich mit Fragen zu befassen, die von seiner aktuellen Lage fortführten; diese Lage änderte sich dann ohne sein Zutun. So war es auch jetzt. Die emotionale Belastung kam nicht von seiner Tat (die ließ ihn völlig kalt), sondern von der Lektüre der Zeitung um halb zehn am nächsten Tag. Ursula und Semmler waren auf der
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