Semmlers Deal
retten und denken nicht daran, dass sie nicht besonders gut schwimmen, dafür aber einen Herzschlag erleiden können. Was sie tun, tun sie. Aus dem Stand, Entscheidung eines Augenblicks. Und genau so, dachte Koslowski, gibt es dies auch am anderen Ende des moralischen Spektrums; genau so gibt es Menschen, die ein Verbrechen begehen können, ohne dass die Vokabel »Skrupel« auch nur am Horizont ihres Bewusstseins auftaucht. Verbrechen als das natürlichste Ding der Welt. Er, Koslowski, trennte seinen Müll und hatte noch nie einen Strafzettel wegen Falschparkens eingefangen. Und in der Firma war er Sicherheitsbeauftragter und ging allen mit seiner Pedanterie auf die Nerven. Er wusste das. Aber er, derselbe Koslowski, hatte ein Haus niedergebrannt, um zwei Menschen zu töten. Er war nicht stolz auf die Tat. Er schämte sich auch nicht dafür. Verbrechen war – etwas Körperliches. Wie Niesen. Wer niesen musste, der nieste eben. Wie hätte er es unterdrücken sollen? Es ließ sich weder unterdrücken, noch absichtlich herbeiführen.Man konnte Lachen nachahmen, manche sogar das Weinen, aber Niesen? Das ging nicht.
Freilich gab es Mittel, den Anfall auszulösen; auch beim Verbrechen, da kam er schnell dahinter, existierte ein Auslöser, ein Niespulver von verlässlicher Wirksamkeit. Verrat natürlich, aber auch Existenz. Die bloße Existenz eines gehassten Menschen löste die Vernichtung dieses Menschen aus. Wer hätte sich dagegen wehren können und wie?
Ohne Semmlers großzügiges Angebot hätte er sich um einen Job bemühen müssen. In seinem Alter war die Arbeitssuche Vollbeschäftigung. Zwar aussichtslos, aber kräfteraubend. Er hätte sich über Monate mit Händen und Füßen gegen den sozialen Abstieg wehren müssen – der dann doch erfolgt wäre. Und er hätte für nichts anderes mehr Zeit gehabt. Aber Semmler wollte das nicht. Sein Schulfreund Semmler wollte, dass sich Koslowski der Muße widmete, ein ruhiges, wenn auch bescheidenes Leben führen und sich seinen Interessen widmen konnte. Koslowski brauchte weder eine Wohnung zu suchen noch einen Job. Er konnte sich voll und ganz seinen Neigungen widmen. Neigungen hatte er nun zwar keine, nie ein Hobby ausgeübt. Dafür ein neues, einziges und für ihn einzigartiges Interesse, das ihn mehr ausfüllte und beschäftigte, als eine ganze Herde Steckenpferde dies vermocht hätte: Rache.
Den Termin bei Gericht überstand Koslowski viel besser, als er befürchtet hatte. Befürchtet hatte er nämlich, auszurasten, auf offener Szene seine Frau zu erwürgen und eingesperrt zu werden. Dann würde auch der Brand der Semmlervilla noch einmal untersucht und auf verquere Art seine Beteiligung daran ans Licht kommen, zum Totschlag käme Mordversuch hinzu und Gefängnis für Jahrzehnte.
Als er sie aber wieder sah, das erste Mal seit Wochen, spürte er nichts. Weder Hass noch etwas anderes Negatives. Es gab auch kein positives Gefühl. Sie vermied es, ihn anzusehen, sie war in Begleitung des Anwalts, dem dauernd zugewandt; ihre Anspannung verlieh dem Vorgang eine gewisse Feierlichkeit, sie standen da wie Trauzeugen – er für den Bräutigam, sie für die Braut – Menschen, die sich bis zum heutigen Tag nicht gekannt hatten und gar nichts voneinander wussten. Der Richter sagte einiges, was Koslowski sich nicht merken konnte, es wurden Unterschriften geleistet, dann waren sie geschieden. Einvernehmlich. Sie verließ den Raum vor ihm, ins Gespräch mit Dr. Breuss vertieft; Koslowski ließ sich Zeit beim Hinausgehen, sie sollte ihren Vorsprung haben. Er versuchte sich zu erinnern, wie die Ehe begonnen hatte, die nun zu Ende war, die standesamtliche Trauung. Er hatte es vergessen, nicht ein einziges Bild kam ihm in den Sinn, der ganze Tag war weg. Trauer erfasste ihn. Solange, bis er die Treppe hinab gelaufen und aus dem Bezirksgericht auf die Straße getreten war.
Koslowski hatte noch acht Wochen Urlaub. Er erwog, eine Detektei zu beauftragen, verwarf den Gedanken dann wieder. Es war besser, es wusste niemand um sein Interesse an der Frau Rhomberg, geschiedene Koslowski. Er ging ins Grundbuch. Semmler besaß, wie vermutet, Immobilien. Koslowski nahm sie sich eine nach der anderen vor. Er machte Radtouren. Er kaufte sich das dazu nötige Outfit. Er fuhr in der Stadt herum und außerhalb der Stadt, machte weite Ausflüge ins Ried, zum Rhein, in die nahe Schweiz. Mit dem Rad konnte er auch in Wohnanlagen hineinfahren, Fußwege zwischen Gärten benutzen, ohne dass es auffiel. So
Weitere Kostenlose Bücher