Semmlers Deal
gefürchtet, es war ihr erster Urlaub am Meer gewesen. Koslowski hatte ihr das Schwimmen beigebracht. Sie atmete tief durch.
»Warum nimmst du nicht die Saeco?«
»Ist kaputt.«
»Dann kauf eine neue, das ist doch umständlich mit dem Ding da ...«
Er drehte sich um. Lächelte. Er hatte es vor dem Spiegel geübt. Nur nicht übertreiben, das war das Wichtigste, undganz in der Figur bleiben. Method acting. Machten die berühmten Schauspieler so: die Figur sein , nicht spielen. Robert de Niro hatte sich zwanzig Kilo angefressen, um den alternden Boxer Jake la Motta darstellen zu können. Koslowski musste keinen Boxer spielen. Er musste sich nur wie ein von seiner Frau verlassener Mittfünfziger verhalten, der außerdem seine Stelle verloren hatte. Das war erstaunlich leicht: Er war ein von seiner Frau verlassener Mittfünfziger, und die Stelle hatte er auch verloren. Es kam nur darauf an, den Gefühlen freien Lauf zu lassen, nichts zu unterdrücken, nur eben: keine Übertreibung, nichts Aufgesetztes.
»Weißt du«, sagte er, »ich muss mich jetzt einschränken, ich kann nicht einfach hingehen und Sachen kaufen, die mir gefallen.«
»Da geht’s doch nicht um gefallen! Du brauchst doch eine Kaffeemaschine ...«
»Ja, du hast wohl recht ... ich hab Gugelhupf gebacken. Magst du?«
Sie nickte nur. Die Antwort blieb ihr im Hals stecken. Der Hals wurde eng. Gugelhupf. Den hatte er ihr immer gebacken, wenn es ihr schlecht ging. Wenn Lotte sie in der Schule geärgert hatte oder eine andere der blöden Zicken. Oder wenn es in Mathematik nur zu einer Zwei gereicht hatte. Karin war sehr strebsam.
Sie holte tief Luft. Beobachtete ihren Stiefvater, wie er den Gugelhupf zerteilte. Die italienische Kaffeemaschine meldete sich mit gurgelndem Zischen; das Geräusch hatte sie viele Jahre nicht mehr gehört. Es tat gut. Damals hatte sie den Kaffee nur mit viel Milch bekommen. Gegen den Widerstand der Mutter, Koslowski war nachgiebig gewesen, auch bei anderen Genüssen der Kindheit.
Sie saßen am Küchentisch einander gegenüber. Kaffee und Kuchen. So waren sie viele Male gesessen, viele Sonntage. Damals war ihre Mutter dabei gewesen. Jetzt war sie fort, und dieses Fortsein hatte etwas Endgültiges, als ob sie gestorben wäre. Karin machte sich keine Illusionen. Die Hochzeit mit Semmler kam ihr wieder in den Sinn, das Pompöse, Aufgesetzte, das Laute, die lästigen Reporter, das Zur-Schau-Stellen von Geld, Geld, Geld. Ihrer Mutter machte sie keine Vorwürfe mehr. Sie hatte einfach den Verstand verloren. Und Semmler auch. Sie durfte natürlich ihre Freundinnen aus der Schule ins neue Haus mitbringen. Sie durfte überhaupt alles. Sie brachte sie nur mit, wenn Ursula und Semmler nicht zu Hause waren; ihre Freundinnen mussten dann nicht so tun, als ob ... sie konnten einfach loslachen. Karin lachte mit. Was sollte man sonst tun? Sie machten Witze über das Haus. Wo der Plan sei mit dem roten Punkt – ›Sie befinden sich hier‹ – so was sei doch vorgeschrieben für den Katastrophenfall, in jedem Hotel gebe es so einen Plan! Und wie lang sie vom hinteren Teil zum Tor brauche, wenn jemand läutet – dafür hätten sie ja eben die Sprechanlage in allen Räumen, warf sie dann ein, weil sonst die Besucher wieder fortgehen, wenn so lang niemand aufmacht. Dann lachten alle. Sie waren leicht zu unterhalten, ihre Freundinnen. Der Witz war schlecht und stimmte nicht einmal zur Hälfte. Niemand musste lang warten, sie hatten Personal, Haushälterin, Köchin und Gärtner.
Die Freundinnen beneideten Karin nicht. Das war von allem das Merkwürdigste: Semmler hatte es geschafft, einen Riesenhaufen Geld für das absolut uncoolste Ding auszugeben, das sie je gesehen hatten. Niemand aus ihrer Klasse wollte in so einem Haus leben. Er sei ein Freak, ihr neuerStiefvater, mit so einem Haus, sagte Lotte. Das war das Netteste, was jemals jemandem zu Semmler einfiel, und außerdem Sprachregelung, denn Lotte war die Queen und bestimmte, was etwas war und nicht war, auch die Jungs hielten sich dran. Aber Karin war nicht sicher, ob sie das nicht nur gesagt hatte, weil sie Lottes beste Freundin war.
Semmler taugte als Puffer, sie konnte ihm alles in die Schuhe schieben. Dabei war es ihre Mutter, die das Haus zu einem Alptraum machte. Keine Woche verging, ohne dass Ursula ein neues Teil anschleppte oder anschleppen ließ, mit dem sie den Innenhof oder sonst was verschönerte. Sie las Stöße von einschlägigen Zeitschriften, jede ein Kilo schwer, und ließ
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