Semmlers Deal
sich inspirieren: die Vorschläge dort waren für sich schon abgedreht (sie suchte nur solche aus) – aber mit Semmlers Haus drum herum wurde das Zeug zur Megakatastrophe. Das neueste waren Marmordelphine für den Poolrand, jeder zwei Meter lang, für Schweinekohle aus Italien importiert, eine ›Spitzenleistung mediterranen Kunsthandwerks‹, wie Ursula das nannte; sie hatte sie im Internet entdeckt und dort war das genau so gestanden. Spitzenleistung mediterranen Kunsthandwerks.
Über all das konnte man sich endlos verbreiten und ablachen. Wenn da nicht Koslowski gewesen wäre. Ihrem Papa ging es schlecht. Sie nannte ihn nur für sich so; die Bezeichnung ›Papa‹ brachte Stress im neuen Haus, das hatte sie schnell mitgekriegt. Ursula wäre es am liebsten gewesen, sie hätte Semmler so genannt. Einfach das Wort vom alten auf den neuen Stiefvater übertragen wie eine technische Bezeichnung; man sagte ja auch zum neuen Auto ›Auto‹. Semmler, das hatte Karin gleich gemerkt, war es vollkommen egal, wie sie ihn nannte, er fand alles gut, was Ursulagut fand – und gut. Aber sie weigerte sich, sie nannte Semmler ›Semmler‹ – und vermied das Wort ›Papa‹, wenn von Koslowski die Rede war. Von dem war höchst selten die Rede. Nie, wenn sie nicht davon anfing. ›Koslowski‹ statt ›Papa‹ und ›Semmler‹ statt ›Papa‹, das war der Kompromiss; ihre Mutter war nicht damit zufrieden, sie selber war nicht damit zufrieden, aber so war es nun; ›Papa‹ als Wort kam nicht vor.
Und ihrem Papa ging es schlecht. Er klagte nicht, das hatte er nie getan, aber jeder konnte es sehen. Jeder, der sich dafür interessierte. Das tat nur niemand außer ihr. Wie er seine Stelle bei der Firma verloren hatte, musste sie bei mehreren Besuchen aus ihm herausfragen; er redete nicht gern darüber und hätte von sich aus keinen Ton gesagt, warum er mitten unter der Woche, mitten am Tag, zu Hause saß.
Sie hatten ihn rausgemobbt. So war es doch. Das hatte er nicht gesagt, sie musste es sich zusammenreimen aus dem, was er ihr davon erzählte; sie bestand darauf, alles zu hören, wer was zu ihm gesagt hatte, was er geantwortet hatte, was sie sonst getan hatten ... Mobbing war es, klarer Fall. Er war zu alt.
»Wie geht’s in der Schule?«, unterbrach er ihre Gedanken, seine Standardfrage, jedes Mal fragte er sie das, als ob es da von einer Woche zur anderen weiß Gott welche Neuerungen geben könnte. Sie antwortete auch recht brav, erzählte von Schularbeiten und was der Wimmerlein in Englisch wieder gesagt hatte (er hieß nicht wirklich so, einfach Wimmer, aber sie nannten ihn wegen seiner hohen Stimme so). Schulklatsch, der ihn zu interessieren schien, aber das fragt er nur und geht dann noch ein auf den Blödsinn, um mich von der Situation abzulenken, dachte sie. Ihr Papahielt sie für ein Kind, das man vor der harten Wirklichkeit beschützen musste; er hatte keine Ahnung. Die harte Wirklichkeit kannte sie, das war ihr klar, noch nicht komplett, ihr hatte aber schon der Teil genügt, den sie kennenlernen durfte. Etwa, seit Hans-Joachim mit einer aus der Parallelklasse ging, das war jetzt vier Monate her. Die Sache mit Hans-Joachim hatte zwei Monate gedauert, er hatte diesen Sommer Matura gemacht und würde ab Herbst in Wien studieren; sie hatten sich schreiben wollen und viel besuchen, keine SMS, keine Mails, ganz altmodisch – und sie wusste ganz genau, dass es seine Idee gewesen war, die Schreiberei, der ganze romantische Quatsch. Dazu war es nun nicht mehr gekommen, sie würde keinen einzigen Brief nach Wien schreiben müssen und keinen von dort erhalten, nicht einmal zu seinem Maturafest hatte er sie eingeladen; nicht, dass sie hingegangen wäre, wahrscheinlich war die neue Freundin dagegen. Das war doch keine Art, so was zu beenden; Lotte hatte gesagt, auf der Skala habe er mit der Aktion locker zwei Punkte gemacht und stünde bei acht. Sie bezog sich auf ihre private Arschlochismus-Skala, die von eins bis zehn ging, eins war nur bei genauem Hinsehen spürbar, zehn war hochpathologisch. Kein einziger ihrer Lehrer hatte auch nur die sieben erreicht wie ein paar aus der Klasse früher, aber das waren Prolos gewesen, da kam das aus dem Umfeld, die konnten nicht anders und waren inzwischen eliminiert.
Vier Monate gegen die zwei, wo es halbwegs gelaufen, doch auch schön gewesen war; es tat immer noch abartig weh, die Performance war miserabel. Es lohnte sich nicht. Aber das Herz war getroffen und nicht wieder
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