Semmlers Deal
nicht um den Rat, den er einem geben oder die Pläne, in die er Partner einweihen wollte. Niemand brauchte den Ratschlag eines Verwirrten zu befolgen, niemand musste sich an Semmlers Plänen beteiligen. Wesentlich war der soziale Abstand zu Semmler. Der Idiot würde fallen – direkt in ein Loch, das sich unter ihm auftat. Wer dann zu nah dran stand, würde mitgerissen werden.
Wurtz lenkte das Gespräch auf andere Dinge, erkundigte sich nach dem Wohlergehen von Frau und Stieftochter. Semmler antwortete ausführlich, enthusiastisch, machte große Gesten. Schwenkt die Arme wie ein Zirkusclown, ging es Wurtz durch den Kopf, es ist ein Trauerspiel. Dann verabschiedete er sich, zugehört hatte er nicht. Er musste nun Hilde über die Lage instruieren und wappnete sich, ihren Vorwürfen zu begegnen: denn sie würde darauf bestehen, schon vor Jahren vor Semmler gewarnt zu haben. Aus Instinkt. Wurtz erinnerte sich nicht an solche Warnungen, seine Frau erfand diese Dinge; wenn es nicht mit solchen Abstrichen der Lebensqualität verbunden wäre – wenn Hilde mehr Humor hätte, als sie hatte – dann, so dachte er sich, würde er sich den Spaß machen und ihr gegenüber seinem Freund Semmler ein phantastisch profitables Geschäft unterstellen, das dieser eben durchgezogen habe. Dann würde sie ihn darauf hinweisen, schon vor langer Zeit zu engerem Kontakt mit diesem begnadeten Geschäftsmann geraten zu haben, der sie an ihren Vater erinnere ... Wurtz lachte, als er die Semmlersche Protzwohnung mit Bodenseeblick verließ. So war sie eben, daran hatte er sich gewöhnt.Er mochte sie trotzdem. Mehr als ein »Gernhaben« war da nie gewesen, was er manchmal vermisste; keine Leidenschaft, kein Bäume-Ausreißen. Und keine verrückten Aktionen. »Amour fou« hatte er nie erlebt. Und das, fand er, war gut so. Und es war auch gut, dass ihm das Schicksal vorführte, wohin Liebe dieser Art führte: in den Abgrund. Einen so harten Geschäftemacher wie Semmler zum Narren mutieren zu sehen, versöhnte ihn mit seinem eigenen Los. Seine Tage würden nie so hell sein, wie es die des anderen nun waren; aber seine Nächte auch nie so dunkel wie jene, die Semmler bevorstanden. Zwei Millionen. Ihn schauderte bei der Vorstellung. Er wusste nicht, wie reich Semmler war. Aber er konnte es abschätzen. Das war keine Summe, die sich so einfach aus einem Vermögen herausnehmen ließ, ohne die Struktur dieses Vermögens entscheidend zu verändern. Wurtz kannte eine Schweizer Multimillionärin, die ein italienisches Schloss geerbt – und nach ein paar Jahren an einen Hotelkonzern verkauft hatte, weil ihr der Unterhalt die Haare vom Kopf fraß. Verantwortungsbewusste Menschen entledigten sich solcher Kästen, so schnell sie konnten, Semmler baute sich einen. An dem Reichtum, der den Bau als Spleen hätte erträglich werden lassen, fehlte hinten eine Null.
Wurtz fuhr die steile Zufahrtsstraße hinunter. Er würde Semmler hier nicht mehr besuchen. Aber er würde ihn auch nicht in seiner Prachtvilla besuchen, wenn sie dann fertig war. Er würde Semmler überhaupt nicht mehr besuchen. Es galt wie bei der Pest: fliehe weit und schnell!
» M öchtest du Kaffee? Eine Limo, Cola? Ich hab alles da ...«
Karin schüttelte den Kopf. Es war eine zweifache Verneinung. Nein, sie wollte nichts zu trinken, und nein, sie glaubte nicht, dass er »alles da hatte«. Alles da zu haben war ein Zeichen bürgerlicher Wohlanständigkeit. Davon konnte in diesem Haushalt keine Rede sein. Nun, Engelchen, dachte Koslowski, lernst du auch einmal die andere Seite der Medaille kennen, das wird deinen Horizont erweitern.
»Ich mach trotzdem Kaffee«, sagte er, »du kannst dann ja ...« Sätze nicht zu vollenden war eine neue Verhaltensweise an ihm. Auch, dass er mitten im Gespräch in irgendeine Ecke starrte. Immer ein paar Sekunden zu lang.
Sie schaute sich um, während er am Herd hantierte. Sie saßen in der alten Wohnküche. Alles war vertraut und gleichzeitig auf entsetzliche Weise verändert. Sie hätte nicht sagen können, worin diese Veränderungen bestanden; es war atmosphärisch. Wie ein Schleier lag über der Einrichtung ein stilles Grau; bei einem Bildschirm hätte sie die Farbsättigung aufgedreht. Und den Kontrast. Es sah alles wässrig aus, fast verschwommen. Genau wie ihr Stiefvater, der nun die Espressomaschine auf die Platte stellte. Die hatten sie aus Rimini mitgebracht, erst vor acht Jahren. Karin erinnerte sich an diesen Urlaub. Sie hatte sich vor dem Wasser
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