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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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dem Koslowskis ist es schwer, den Verstand vollkommen auszuschalten; auch in Momenten tiefster seelischer Erschütterung gelingt es kaum, ein Rest bleibt aktiv, sieht und nimmt wahr. Und erinnert sich. So musste er später zugeben, dass er sich in diesen Minuten nicht wie ein kalter Racheengel verhaltenhatte. Sein Flüstern wurde zum Murmeln, das man bis in den ersten Stock hätte hören können. Er bemühte sich auch nicht, leise zu sein; er ging im ganzen Erdgeschoss herum, um zu tun, was zu tun war. Er machte allerdings nicht extra Krach, das nicht. Sie schliefen. Und es umgab sie nicht nur der Schlaf, sondern wie alle Paare, die eine solche Nacht hinter sich hatten, ein unsichtbarer, pulsierender Kokon, die Aura unerhörter Wonne, die alles Vergangene aufsog und auslöschte. Alles.
    Draußen verstärkte sich das Gewitter, nach schwachem Beginn gewann es Kraft. Die Fenster standen offen. Sie wurden nicht wach. Wie hätten sie von dem schwachen Geräusch erwachen sollen, das aus dem Wohnzimmer nach oben drang? Obwohl es charakteristisch und in entwickelten Gesellschaften nicht zu missdeuten war: es entsteht, wenn jemand große Bögen Papier zerknüllt. Semmler hatte mehrere Zeitungen abonniert und bewahrte sie monatelang auf, Stöße davon, im Wohnzimmer und in der Küche. Bellmeier durfte sie nicht wegwerfen, weil Semmler sie noch nicht gelesen hatte. Nach vielen Wochen kamen sie doch ins Altpapier. Semmler liebte Zeitungen. Das war nun, man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, auch nichts anderes als ein Zeichen, wenn einer über Koslowskis spezielles Wissen verfügte. Er ging mit System vor, verteilte die zerknüllten Blätter im Erdgeschoss, belegte die Kellertreppe und den Keller, dann die Stiege in den ersten Stock. Er arbeitete schnell. Jeder Brandbeschleuniger ließ sich gaschromatographisch und massenspektrometrisch nachweisen; die Ermittler mussten, was die Zündler nicht wussten, keinen leeren Kanister finden; egal, was es war, es verbrannte eben nicht ganz und verriet sich durch seine chemische Spur. AmOrt des Geschehens und weit entfernt in der Kleidung des Brandstifters. Nur Papier war sicher.
    Bald danach fuhr er.
    Er nahm dieselben Nebenstraßen wie beim ersten Mal, kein einziges Auto begegnete ihm, kein Fußgänger, alle Menschen, die bei Trost waren, blieben unter Dächern. Mühsam, das Gleichgewicht gegen die Böen zu halten, er kam nur langsam voran.
    Aber er kam voran und heim. Er badete, zog sich um. Die Freizeitklamotten steckte er in die Waschmaschine, schaltete ein. Keine Untersuchung würde irgendeinen Beweis erbringen, dass er an einem Ort gewesen war, wo es stark gebrannt hatte.
    Von der ersten Phase dieses Brennens gab es keinen Augenzeugen. Die Vernichtung erfasste das Erdgeschoss total und fraß sich nach oben, breitete sich im ersten Stock und in den Geschossen im Dach aus, wo es besonders flott voranging, weil Semmler hier den Plunder vieler Jahrzehnte gelagert hatte. Die Holzböden leisteten keinen Widerstand, irgendeinen Melder gab es nicht, auch keine Sprinkleranlage.
    Sie konnten sich dann nicht erinnern, wer zuerst wach geworden war und wodurch. Vom Rauch wahrscheinlich. Sie sprangen auf und auf den Balkon, fast synchron.
    »Nicht über die Treppe!« rief er, »auf keinen Fall über die Treppe!«
    Sie nickte, der Regen lief ihr übers Haar, die nackte Haut. Er duckte sich an den Boden, kehrte ins Zimmer zurück, raffte die Kleidungsstücke zusammen. Es konnte nichts passieren. Er war sicher. Ursula gehörte ihm, jetzt und für immer. Ein Feuer würde daran nichts ändern. Er staunte über sich, über sie. Sie standen auf dem Balkon und zogen sichan. Es ist einfach, dachte er. Er war ganz kalt. Eine Übung, eine blödsinnige Feuerwehrübung. Nur halt mit echtem Feuer. Erster Stock. Im Grunde lächerlich. Aber: kein Risiko!
    Er stieg über das Geländer, bedeutete ihr, es ihm gleich zu tun.
    »Müssen wir springen?«, fragte sie.
    »Nur ich. Du kletterst an mir runter. Dann ist es nur noch ein Hopser ...«
    »An dir runter? Wie denn?« Fast hätte sie gelacht, er hörte es an der Stimme. Unterdrückte das Lachen nur, um den Übungsleiter nicht aufzuregen. Keine Panik. Nicht die Spur. Er liebte sie.
    Er ließ sich an den Geländerstangen niedergleiten, packte sie unten mit beiden Händen, stieß sich ab, hing am Geländer.
    »Über mich runter«, rief er nach oben, »halt dich an mir fest.« Sie stieg auf seine Schultern, umklammerte ihn dann mit den Beinen, wie sie ihn

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