Semmlers Deal
Ökonomisch betrachtet, war Ursula von einer sehr mittelmäßigen Position an der Seite Koslowskis in eine hohe an der seinen aufgerückt, aber eben nur kurz, und dann auf eine bis dato nicht erlebte niedrige Stellung zurückgefallen. Vielleicht verschärfte der vorangegangene Aufstieg rein psychisch den nachfolgenden Absturz; sie fiel wohl tiefer, als es der reinen ökonomischen Differenz entsprach ... dadurch, dass sie nun arbeiten gehen musste, was sie als Koslowskis Frau nie getan hatte, konnte ihr Gram nicht verursacht sein, denn das tat sie gern. Semmler kam es vor, als sei die Stelle bei Christoph Wurtz das einzige, was ihr die neue Existenz erleichterte. Unübersehbar, wie gern sie morgens das Haus verließ. Nicht, dass sie am Abend nicht gern zurückgekommen wäre, dafür gab es keine Anzeichen; sie erzählte nur mit leuchtenden Augen von ihrer Arbeit, wie interessant das doch alles sei, welche Einblicke sie in das Wirtschaftstreiben der Region bekomme und so weiter, es war eine unschuldige Freude an ihrer Tätigkeit. Dass sie dabei ihn, der gar nichts tat und solche Einblicke nicht mehr hatte, verletzen musste, kam ihr nicht in den Sinn.
Das Problem war nicht das Nichtstun. Viel getan im Sinne des Angestellten, der von neun bis fünf in der Fron steht, hatte er auch früher nicht. Vermögensverwaltung istkeine Arbeit . Arbeit ist alles Tun, das von jemand anderem angeschafft wird. Man mag es gern und gut und willig tun – es bleibt Zwang, das ist Arbeit. Dass er jetzt Stunden auf dem Balkon saß oder an der Ach spazieren ging, bereitete ihm keine Probleme. Er hatte sein ganzes Leben nicht gearbeitet, Arbeit nie als Wert an sich begriffen und war jetzt auch nicht arbeitslos im technisch-juristischen Sinn. Er bezog natürlich keine Arbeitslosenunterstützung.
Was an ihm nagte, war der Umstand des Verlustes einer so gewaltigen Summe. Wieder und wieder überdachte er die Entscheidungen, die er in den kritischen Monaten gefällt hatte; und konnte auch bei Anlegung strengster Beurteilungsmaßstäbe keinen Fehler finden. Durch den Verlust der fünfhunderttausend war er gezwungen gewesen, eine aggressivere Veranlagungsstrategie zu wählen, als dies bei bloßem Vermögenserhalt geboten gewesen wäre, aggressiver, also renditeträchtiger und risikoreicher. Da zu jenem Zeitpunkt an der Börse eben keine Blase wuchs, die er hätte nutzen können, musste er auf Spezialgebiete setzten. Devisen, Zinsswaps, Rohstoffe. Und das war alles schiefgegangen. Nicht das eine oder andere Investment, und nicht die Hälfte oder zwei Drittel. Sondern alle. Er hatte, wie er später nachrechnete, genau auf die falschen Möglichkeiten gesetzt; nur auf solche, nicht eine einzige gewinnbringende Investition war dabei. Dass jemand so etwas tat, war sehr unwahrscheinlich; jeder Affe oder ein Zufallsgenerator hätten die Sache zu einem besseren Ende geführt.
Es war der Deal mit dem Universum.
Er hatte für das Leben Karins sein ganzes Vermögen versprochen. Alles war glatt gegangen. Das Vermögen fort, Karin am Leben und gesund. Also gab es kein Problem: DerHandel mit dem Universum war verlaufen wie geplant, jede Seite hatte ihre Hälfte des Vertrags erfüllt. Was ihn quälte, war die Tatsache, dass er es im Gegensatz zu allen früheren Opfern dieses Mal glaubte. Er glaubte, dass sein Vermögen wegen seines Versprechens verloren gegangen war. Er hatte das auch bei den anderen Dingen geglaubt, beim Schlüsselbund, beim Wagen, beim Haus, aber nicht zu hundert Prozent. Immer war da ein mehr oder minder großer Zweifel geblieben, das Zauberwort Zufall wie eine Grasinsel, auf die man sich retten konnte im tückischen Moor – es konnte doch alles auch nur Zufall sein, oder Autosuggestion oder sonst irgendwas mit geistigen Energien, die das Materielle beeinflussen, pi pa po ... dann wäre zwar alles genauso verlaufen, aber er wäre dabei allein gewesen, allein mit dem Zufall, also ganz allein, denn der Zufall ist niemand.
Jetzt aber war der Zweifel verschwunden, kein Rest mehr vorhanden, kein Stäubchen, kein Hauch. Er war bei diesen Sachen nicht allein. Da gab es einen Jemand, der in Beziehung zu ihm trat, sein Leben beeinflusste, einen Deal mit ihm hatte. Wir haben einen Deal. Das sagte er manchmal vor sich hin, wenn Ursula nicht da war. Diese unsichtbare Macht »Universum« zu nennen – warum nicht? Es war am einfachsten so. Er brauchte jemanden, mit dem er einen Deal hatte, nicht zu sehen. Sein ganzes Leben hatte er Geschäfte mit
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