Sensation in der Manege
legte väterlich den Arm um Minis Schultern.
„Kommt! Jetzt zeige ich euch die Hauptschlagader des Zirkus: den Sattelgang. Hier muß jeder durch, der in die Manege will, und alles muß bis ins kleinste durchdacht sein, damit die Umbauten von einer Nummer zur nächsten blitzschnell gehen und keiner den anderen behindert. Haltet euch dicht hinter mir, damit ihr niemandem im Wege steht.“ Der Indianer führte sie in die schmale Gasse, von der aus man die Manege betrat. Vor ihnen erhob sich das ansteigende Rund der Zuschauerbänke, die schon zur Hälfte besetzt waren.
„Da hinaus müssen und vor all den vielen Gesichtern seine Kunststücke zeigen? Ich glaube, das könnte ich nicht“, meinte Bille. „Bei einem Turnier hast du doch wenigstens nur den Kopf deines Pferdes und das nächste Hindernis vor der Nase.“
„Sobald die Scheinwerfer aufflammen, siehst du sie nicht mehr“, erklärte der Indianer. „Du bist so auf deine Nummer konzentriert, daß du alles um dich herum vergißt. Seht ihr, da stehen die Gitter für die Raubtiernummer. Und die kleine Kutsche dort gehört zur Pudeldressur. Na kommt, unsere Loge ist da drüben.“
Bald waren die Zuschauerbänke bis auf den letzten Platz besetzt. Der Liliputaner bot seine Programme an, und der Eisverkäufer hatte sich bei dem kalten Wetter auf Glühwein und heiße Würstchen umgestellt. Das Orchester spielte einen Tusch, und die Scheinwerfer flammten auf. Ein Herr im Frack kam in die Manege, zog winkend seinen Hut und begrüßte mit ausgebreiteten Armen das Publikum. Die Vorstellung begann.
Happy, Whisky und Maestro spitzten die Ohren. Die Vorstellung begann — und keiner holte sie zu ihrem Auftritt? Die Koppel hatte sich geleert. Ein junger Marokkaner hatte die Zirkusponys zu ihrem Auftritt auf den Hof getrieben, wo sie von eifrigen Stallhelfern aufgezäumt und mit bunten Federbüschen geschmückt wurden, um sich dann gehorsam in einer Reihe aufzustellen.
Keinem war es aufgefallen, daß Zottel sich mit durch das Gatter gedrängt hatte und nun einen kleinen Erkundungsspaziergang in Richtung Küchenwagen unternahm, aus dem verlockende Düfte herüberwehten. Zottels Enttäuschung war groß, als er die Tür verschlossen fand und er rund um den Wagen nicht die kleinste Spur von etwas Eßbarem entdeckte. Verdrossen trabte er weiter, um die Wagenkolonnen zu inspizieren, vielleicht hatte er dort mehr Glück.
Aber auch da fand er nichts. Niemand stellte um diese Jahreszeit einen Korb mit Lebensmitteln oder eine Einkaufstasche vor der Tür ab, nicht einen verlorengegangenen Apfel fand er, nicht einmal eine Brotkruste.
Vor den Ställen und auf dem Hof herrschte jetzt Hochbetrieb, da durfte er sich nicht sehen lassen. Am Ende wurde er noch gesattelt und zur Arbeit geschickt. Aber vor dem großen Portal war es still, da konnte er sich ungestört ein bißchen umsehen.
Die Kassiererin saß an ihrem Platz und zählte die Einnahmen des heutigen Nachmittags, neben sich griffbereit zur Stärkung eine Schachtel Kekse. Für solche Genüsse hatte Zottel eine besonders feine Nase! Also schritt er ohne Umstände auf den Kassenwagen zu, legte den Kopf schief und steckte sein Maul durch die Öffnung. Die Lippen gierig gespitzt, schnaubte er vor Freude heftig, die Geldscheine hoben sich wie eine Wolke in die Luft und segelten in alle Richtungen davon.
„ Huach !“ schrie die Kassiererin und kreischte empört: „Du verflixtes Biest, was hast du hier zu suchen! Scher dich in deinen Stall zurück, marsch!“
Die Kassiererin machte ein paar wegscheuchende Bewegungen in seine Richtung, aber da sie Kummer gewöhnt war, was das plötzliche Auftauchen eines Tieres betraf, meinte sie es nicht allzu ernst. Außerdem hatte sie alle Hände voll zu tun, um das Geld vom Boden zu sammeln, und so zog Zottel unbemerkt die Keksschachtel zu sich heran, zerrte sie durch die Öffnung und ließ sie zu Boden fallen. In aller Ruhe verzehrte er die herausgefallenen Kekse.
Bis die Kassiererin, die nun noch einmal mit dem Zählen begann, automatisch in Richtung Keksschachtel griff, dort aber nichts fand, war Zottel längst über alle Berge.
Aus dem Inneren des Hauptzeltes klangen Trommelwirbel herüber. Die fünf Ricardos zeigten ihre atemberaubenden Kunststücke auf dem Schleuderbrett. Benita, die dreizehnjährige Tochter der Ricardos, die in schwindelnder Höhe auf den Turm aus Körpern sprang, den ihr Vater und die Brüder bildeten, erntete tosenden Beifall.
Zottel wurde neugierig und beschloß,
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