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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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mich Veronika van Laar, meine Anwältin und ... sagen wir ... >persönliche Bekannte<, aus dem Schlaf schrillte und »Beweg deinen Arsch sofort rüber in die Kanzlei« kommandierte, »ich hab einen dicken Fisch für dich an der A-« und sie hatte »-ngel« noch nicht ausgesprochen und der Hörer war noch nicht zurück auf die Gabel gefallen, da war ich schon unten auf der Straße und zeigte dem alten Toyota, was ein richtiger Kaltstart ist.
    Hier hätte ich zu mir kommen, die Zündung killen und zurück ins Bett tapern sollen. Doch so funktioniere ich nicht. Einmal in Fahrt, bin ich nur schwer wieder zu stoppen. In jeder Hinsicht, fürchte ich.
    Der schwarze Schlamm, den ich statt Motorenöl fahre, und die graue Masse, die ich anstelle eines Gehirns verwende, ruhten beide noch im Aggregatzustand frühmorgendlicher Starre, derweil die vier Kolben des 1600ers schon der kritischen Marke von 20m/Sek. entgegenglühten, und das im Dritten, als ein heftiges, blechernes Scheppern fast alle meine Wahrnehmungsorgane mit einem Ruck ans Laufen brachte, was mich zwang, eine Vielzahl auf mich einstürmender Informationen praktisch zeitgleich zu bearbeiten. Nämlich:
    1. Es regnete. Folglich waren die Straßen glitschig und meine Scheiben wie immer beschlagen.
    2. Mein rechter Fuß lag schwer und unbeweglich auf dem Gaspedal.
    3. Beim Abbiegen hatte das Auto sich gerade ein ganz klein wenig meiner Kontrolle entzogen.
    4. Wir hatten etwas gerammt, das grün und weiß lackiert war und oben ein Paar blauer Lampen draufhatte.
    5. Ich war von letzter Nacht noch hackevoll.
    Als ich damit durch war, mit dem Bearbeiten dieser Informationen, waren wir schon 200 Meter weiter und um eine rasche Entscheidung verlegen. Wir, mein Auto und ich, waren bald 300 Meter weiter, und das obendrein im vierten Gang, womit wir uns, realistisch betrachtet, recht flott einer Vorentscheidung näherten. 400 Meter, mittlerweile, weiter, im Vierten, bei Vollgas, und die Situation bekam die Züge einer gewissen Irreversibilität. Unumkehrbarkeit, zu Deutsch. Und es wäre mir wirklich schwer gefallen umzukehren, 500 Meter weiter, bei Endgeschwindigkeit, rein schon vom fahrerischen Aspekt her. Was ich so gerade eben hinbekam, war, die Fuhre kurz zusam-menzubremsen, sie in eine Seitenstraße zu reißen, von da in noch eine, anschließend eine Unterführung hinabzutauchen, einen Bahnübergang im Sprung zu queren, danach die Pfützen und Schlammpassagen eines Neubauviertels zu zerteilen wie einst Moses das Rote Meer und zu guter Letzt so lange in gewagten Drifts durch die Parkplatzreihen eines Einkaufszentrums zu zickzacken, bis ich mir sicher sein durfte, etwaige Verfolger gründlich abgeschüttelt zu haben. Dann erst stoppte ich und wischte meine Frontscheibe klar, um mich zumindest grob zu orientieren.
    Wie sich herausstellte, hatte ich keinen Dunst, wo ich mich befand.
    >Orientierungsvermögen<, sag ich immer gerne, >ist das eine Standbein des Detektivberufes.< >Improvisationstalent<, schicke ich immer gerne hinterher, >das andere.<
    Beides vorzugsweise an Orten und zu Zeiten, an denen ich nur schwer zu widerlegen bin. Breit mit dem Arsch auf meinem Lieblingshocker in der >Endstation< sitzend, zum Beispiel, oder aber eine Etage höher und nach hinten raus, traut und zweisam und ebenfalls breit auf dem Kreuz in meinem Bette liegend.
    Hier draußen allerdings, im Wirrwarr der Straßen von Ruhr City mit einem nachlassenden Vollrausch waren die Dinge nicht ganz so klar und einfach wie drinnen am Tresen mit einem beginnenden.
    Trotzdem brauchte ich nicht viel mehr als eine Viertelstunde, um mich wieder zurechtzufinden. Neun von 10 Autokennzeichen in dieser Gegend begannen mit >E<, was mir eine neunzigprozentige Sicherheit gab, mich in Essen zu befinden, wo ich übrigens auch hinwollte. Jetzt musste ich nur noch das Lenkrad in eine Richtung drehen, die mich aus dem öden Vorort in die, wenns geht noch ödere Innenstadt brachte, und alles wäre geritzt, immer vorausgesetzt, die Kellenschwenker wurden meiner unterwegs nicht habhaft. Um das Risiko gering zu halten, beschloss ich, auf weitere Umwege zu verzichten, die City direkt anzusteuern und den Wagen dort für ein paar Tage in einer Tiefgarage zwischenzulagern. Was meine Kennzeichen anging, war ich unbesorgt. Jahre ohne Schwamm oder Bürste hatten sie ungefähr so unleserlich werden lassen wie meine Handschrift. Nein, ich würde einfach nur warten müssen, bis die Jungs in Grün wieder den Weg einer stark verbeulten,

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