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Sense

Sense

Titel: Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Erfahrungen mit gemacht. Und allein deshalb musste ich das Saufen drangeben. Denn mit dem Datterich, der momentan dabei war, meine Pfoten zu überkommen, könnte ich Drago die Mündung mitten auf die Stirn setzen und würde ihn noch verfehlen.
    »Pennst du?« Veronikas süße Stimme gellte in meinen Ohren und weckte mich aus meinen Träumereien.
    »Ja. Nein«, antwortete ich lahm.
    »Was habe ich gesagt?«, wollte sie nicht ohne Schärfe wissen. Sie hätte auch eine prima Staatsanwältin abgegeben, fuhr es mir durch den Kopf.
    »Du wolltest wissen, ob ich schlafe«, gab ich vorsichtig zu Protokoll.
    Aber dann möchte ich ihr nicht als Angeklagter gegenüberstehen.
    »Und davor?« Sie sah mich genervt an.
    Davor hatte sie also auch schon was gesagt? Hatte ich wirklich geschlafen? Im Stehen? Das erschien mir beinahe unmöglich. Und gefährlich obendrein. Man döst weg, kippt nach vorne, schlägt mit dem Kopf auf den Schreibtisch und wird wach mit diesem ekelhaften Zettelspieß im Auge. War vielleicht besser, ich setzte mich hin.
    »Setz dich hin!«, befahl sie, stand aber selber auf. »Ich hole dir einen Kaffee. Du siehst ja völlig fertig aus.«
    Ja, ja, ja.
    »Wie kann man sich nur selbst so zurichten«, schimpfte sie noch, mehr besorgt als wütend, bevor sie aus dem Raum stakste.
    Sie liebte mich also doch. Wütend gefiel sie mir zwar besser, doch die Tatsache, dass sie sich um mich sorgte, offenbarte ihr Innerstes. Eines schönen Tages würde es auch ihr dämmern, und dann konnte sie Drago von hinten festhalten, während ich ihm ein Messer in die Brust rammte .
    Ich versuchte, mir unser Zusammenleben auszumalen. Wie ich, angetüddelt und spät, zu spät, nach Hause komme und sie mich schon in der Diele abfängt. Breitbeinig mitten im Weg stehend, die zarten Füße in absurden Stilettos und die Arme vor der in Leder hoch geschnürten Brust verschränkt, macht sie mich in schärfstem Ton zur Sau. Ich falle, idiotische Ausflüchte stammelnd, auf die Knie, gestikuliere flehend, während sie laaaangsam den rechten Arm hebt und die kurze Lederpeitsche zum Vorschein kommt, die sie darunter verborgen hatte, und sie sagt .
    »Wach auf und trink deinen Kaffee!« Wie durch Zauberei saß sie mir schon wieder gegenüber, und direkt vor meiner Nase stand so eine grausliche pyramidenförmige Designerkanne, für die man studiert haben muss, um nicht Ausguss und Henkel zu verwechseln und sich die heiße Brühe irrtümlich den Jackenärmel hinabzuschütten, nebst einer dazu passenden Tasse aus drei verschiedenen Materialien, wo es Porzellan allein genauso gut getan hätte. Ungeduldig, weil unsicher, fuhrwerkte ich damit herum und schaffte es schließlich, etwas von der dampfenden Plörre aus dem einen in den anderen Behälter zu kippen. So weit, so gut. Ich fasste die Tasse am Ohr, pustete ein bisschen und nahm einen vorsichtigen Schluck. Schmeckte, als ob nach Anschaffung der Kanne nicht mehr genug Geld für Kaffeepulver übrig gewesen wäre.
    »Pass auf, er ist heiß.« Sie hat so etwas Mütterliches manchmal, die Veronika. »So«, sagte sie. »Hör mir zu. Du wirst jetzt nach Hause fahren, du wirst duschen, dich rasieren und umziehen. Falls du kein frisches Hemd mehr hast, wirst du dir eines kaufen. Kannst du mir so weit folgen?«
    Ich nickte folgsam.
    »Anschließend lässt du dir die Haare schneiden. Du siehst bald aus wie ein Eremit. Und falls du weiterhin Schwierigkeiten hast, die Augen offen zu halten, wirst du Tabletten nehmen. Klar?«
    Wieder nickte ich. Schlürfte noch ein Schlückchen.
    »Und wenn du dich wieder halbwegs vorzeigbar hergerichtet hast, fährst du zu dieser Adresse«, sie reichte mir einen kleinen Zettel, »und sprichst mit der Frau.«
    Der dicke Fisch, dachte ich.
    »Ich habe dich für dreizehn Uhr angekündigt. Du wirst diesen Termin unter allen Umständen einhalten. Haben wir uns verstanden?«
    Ich seufzte. Kim, dachte ich, würde niemals in so einem Tonfall mit mir reden. Andererseits hatte sie mich, um einmal ehrlich zu sein, auch noch nie nach mehreren Tagen auf der Rolle mit anschließend gerade mal drei Stunden Koma zu Gesicht gekriegt. Solange Kim um mich war, brauchte ich so was auch nicht. Mit Kim in meiner Nähe brauchte ich praktisch nichts, keine weiteren Stimulanzien, außer vielleicht mal ein bisschen vom Bubbeligen, um der Libido einen kleinen Schubs extra zu geben .
    Ich saß mitten in einem Schweigen, fiel mir auf. Irgendetwas in der Atmosphäre ließ es mir angeraten erscheinen, mehrmals

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