Sephira - Ritter der Zeit 2: Das Blut der Ketzer (German Edition)
Vermisste er mich im Jenseits? War er betrübt, weil er glaubte, ich sei zu Hel gekommen?
Auch für mich, Laurina Einarsdottir Skallagrimm, war Zeit bedeutungslos geworden. Sie zog an mir vorüber wie eine laue Frühlingsbrise, die die Haut streichelt, aber keine Spuren hinterlässt. Geboren als Tochter eines Wikingerfürsten war ich zur Bewahrerin eines der größten Geheimnisse dieser Welt geworden, Chronistin einer geheimen Bruderschaft, die sich Sephira nannte. Und ich trug die Quelle der Unsterblichkeit in mir.
Rein äußerlich unterschied ich mich kaum von anderen Menschen. Jeder, der mich sah, hielt mich für ein Mädchen von vielleicht neunzehn Sommern, mit hellem Haar und blassem Gesicht. Der verräterische Farbwechsel meiner Augen vollzog sich mittlerweile nur noch dann, wenn ich von einem starken Gefühl überwältigt wurde. Ansonsten leuchtetenmeine Augen blau wie der Himmel über den Fjorden meiner alten Heimat.
In den mehr als hundert Jahren, die ich bereits lebte, hatte ich Erinnerungen gesammelt. Manchmal kehrte ich in meinen Träumen auf das Schiff zurück, das meinen Vater und seine Getreuen in den Tod gerissen hatte. Oder ich stieg den windigen Turm von Malkuths Burg hinauf, nur bekleidet mit einem dünnen Gewand, das meinen Körper kaum verbarg.
In der heutigen Nacht fand ich mich im Fallenlabyrinth wieder.
Dies war nur eine der Prüfungen gewesen, die ich hatte bestehen müssen, um Hüterin der Unsterblichkeit zu werden. Wie damals lief ich durch schmale Gänge, und obwohl ich wusste, wo die Fallen lauerten, überraschten sie mich doch immer wieder.
Als eine Flammensäule vor mir in die Höhe schoss, schreckte ich hoch und blickte mich um. Durch die kunstvoll verzierten Fenster schien ein klarer Sichelmond. Neben mir spürte ich Gabriels Körper, der mir inzwischen so vertraut wie mein eigener war. Seufzend ließ ich mich wieder in die Kissen sinken. In meiner Brust tobte ein altbekanntes Brennen. Es war also wieder einmal so weit.
Zum ersten Mal hatte es mich einen Monat nach der Schlacht um Jerusalem heimgesucht. Voller Angst hatte ich mich an Gabriel gewandt, doch da er nur wenige Kenntnisse über Lamien besaß, hatte er mich an Sayd, unseren Anführer, verwiesen.
»Wie du weißt, befindet sich in deiner Brust die Quelle der Unsterblichkeit«, erklärte dieser mir. »Auch Ashala litt unter dem, was du spürst. In einer bestimmten Nacht im Monat wird sich die Quelle erneuern. Es ist beinahe wie bei den Menschenfrauen, wenn sie bluten.«
Diese Nachricht hatte mich alles andere als erfreut, dennder Schmerz war furchtbar. Und obwohl ich mich mittlerweile daran gewöhnt haben sollte, war diese Nacht noch immer die schlimmste des ganzen Monats.
»Es ist also wieder so weit«, sagte Gabriel leise. Ich hatte nicht mitbekommen, dass er erwacht war.
»Verzeih mir, ich wollte dich nicht wecken«, flüsterte ich ihm zu und strich ein wenig abwesend über seinen Arm.
»Als ob Schlaf eine große Bedeutung für mich hätte!«
Er setzte sich nun ebenfalls auf, beugte sich über mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Dabei streiften seine dunklen Locken meine Wange und sein Bart hinterließ ein Kribbeln auf meiner Haut. Es war schon eine seltsame Sache. Obwohl jede Berührung das Brennen in meiner Brust noch verstärkte, sehnte ich mich gleichzeitig danach, von ihm in den Arm genommen, geküsst und geliebt zu werden. Gabriel wäre mir aber selbst dann nicht nahe gekommen, wenn ich ihn darum gebeten hätte. Nur zu gut wusste er, dass ich in diesem Zustand die Beherrschung verlieren und ihn verletzen könnte.
Also saßen wir schweigend nebeneinander, und während Gabriel hinaus in die Nacht blickte, schloss ich die Augen und wartete, dass der Schmerz endlich abebbte. Wie so oft versuchte ich mich abzulenken, indem ich an die Zeit zurückdachte, die hinter uns lag.
Hundert Jahre! Die Welt, in der wir lebten, war eine andere geworden. Zum Besseren hatte sie sich jedoch nicht verändert. Nur wenige Jahre nach dem Sieg Saladins über Jerusalem hatte ein neuer Kreuzzug stattgefunden. Der angelsächsische König Richard Löwenherz war zunächst eine der schillerndsten Gestalten dieser Unternehmung gewesen. Doch nie habe ich einen glückloseren Herrscher erlebt! Nachdem man ihn von den Toren Jerusalems vertrieben hatte, wurde er gefangen genommen. Jahre dauerte es, bisdas Lösegeld aufgetrieben war. Als er endlich freigelassen wurde, ereilte ihn sein Schicksal beim Raubzug durch Gabriels Heimat.
Nur
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