Sepia
Abschied.
Großvater Anton sagt: Hast du es nicht gut genug, jetzt in Leistungslohn und in deiner Selbständigkeit. Vielleicht kommst du in ein paar Jahren ins Büro. Oder aus dem Freigelände ins Glashaus, im Winter ein Dach über dem Kopf, was willst du mehr. Und überhaupt jetzt, wo du ein Fahrrad hast.
Das nehme ich mit, sagt Eli.
Und von was willst du leben?
Wie die anderen Studenten vom Stipendium.
Das sind die Standpunkte. Sorgen und Zukunftsangst. Überzehn Jahre Nachkriegszeit. So ein langes neues Leben. Meist hält ein Frieden um die zwanzig Jahre. Man kann nur hoffen, dass es nicht vorher zum Krieg kommt. Oder zu einer Inflation. Die Enkelin hat zweihundertfünfzig in der Zigarrenkiste. Das Geld soll sie sich halten, damit sie von ihrer Seite was hat in der Zukunft, die man nicht kennt. Der Mittlere von Dubberts scheint kein schlechter Kerl zu sein. Der ist bei der Straßenbahn untergekommen. Eine häuslich stille Natur. Aber Eli macht überhaupt keine Miene. Man kann das Gute nicht zwingen. Der Mensch ist ein Rätsel. Anton braucht nur an seine Wandergefährtin Alice zu denken, die plötzlich nach Westfalen zur Schwester getürmt ist. Und nun Eli. Jetzt muss der Großvater herausfinden, was das ist, ein Stipendium, Mehrzahl: Stipendien. Finanzielle Unterstützung für Studierende und junge Wissenschaftler, so steht es im Fremdwörterbuch.
Ein paar Tage später, kurz vor dem Schlafengehen, also nach den Nachrichten aus dem Radio, zeigt der Großvater, wie gescheit er ist und wie er die Welt kennt. In gewitztem, etwas hämischem Ton fragt er die hinter einem Buch versteckte Enkelin direkt auf den Kopf zu: Auf wie viel soll sich denn das Stipendium belaufen?
Eli behält ihre Nase im Buch. Der Großvater nickt. Stipendium, das hört sich schon an wie Watte oder wie ein leerer Klingelbeutel. Eli blättert endlich die Seite um. Einhundertachtzig Mark, murmelt sie.
Hundertachtzig, das verdreht dem Großvater das Widerwort, das er schon auf der Zunge fertig hatte. Statt Klingelbeutel sagt er Donnerwetter. Er rechnet im Kopf. Das sind 150 Schachteln Turf. Oder jeden Tag eine Wurst mit Senf plus Semmel. Monatlich tausendmal mit der Straßenbahn Weinböhla bis Niedersedlitz und zurück und was nicht alles. Da könnte sogar noch was übrigbleiben für die Zigarrenkiste.
Bei diesem und dem nächsten Gedanken zündet er sich eineZigarette an. Er bläst den Rauch aus dem Mundwinkel, wie er es immer macht, wenn er immer noch den Teufel riecht. Sind unter den anderen Studenten auch Männer?
Kann sein, sagt Eli. Dann schlägt sie das Buch mit einem lauten Knall zu. Ja, sagt Eli, alles Männer. Und alles geborene Künstler.
Ein Schweigen erfüllt die Wohnküche bis über den Herd mit den blank geputzten Feuerringen, wo der Kessel mit dem Waschwasser steht, denn heute ist Sonnabend, Elis Bade- und Schuhputztag, das Schweigen hängt in der cremefarbenen Gardine, es senkt sich auf die gepolsterte Kochkiste und auf die nussfarbenen Plüschsessel. Und weil der Großvater sich von seinem Platz auf dem Sofa nicht mehr meldet, sagt Eli: Ich bin die einzige Frau und keine Künstlerin und will auch keine werden, weil ich keine werden kann, denn dann müsste ich mich berufen fühlen. Aber ich fühle mich nicht berufen.
Das will ich hoffen, brummt der Großvater.
Eli lässt den Wecker eine Weile friedlich ticken, dann soll es der Großvater hören.
Sie nehmen mich allerdings trotzdem. Ohne Berufung.
Der Großvater bläst den Qualm am linken Ohr vorbei. Schräger geht es nicht. Sein linker Mundwinkel hängt verdrossen. Er will nicht verstehen, was sich jetzt ändern soll und warum. Er möchte mit der Faust auf den Tisch hauen. Entsprechend grollt seine Stimme. Was ist denn das für ein Verein. Lumperei. Warum denn so was, warum fangen die ausgerechnet so einen Hänfling wie dich.
Eben darum. Weil ich Arbeiterin bin. Sagt Eli. Sie nehmen im Ganzen nur vier Studenten, und ich bin die 25 Prozent Arbeiterklasse, die anderen drei sind Männer und bürgerliche Elemente, zwei machen Gedichte, und einer schreibt Humorartikel für die Sonntagszeitung.
Eli ohne Berufung, aber mit Voraussetzungen. Um denGroßvater mürbe zu machen und außerdem zu beruhigen, um ihm zu beweisen, das der Nachkrieg vorbei ist und die Züge längst wieder nach Fahrplan fahren und sie keine Lust mehr hat, sonnabends in der Zinkwanne zu baden und den Großvater durch die Wand schnarchen zu hören und zu warten, bis er fertig ist auf dem Abort, um
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