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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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sich die persönlichen Argumente zu sparen, setzt sie ihren Großvater und Vormund Anton Reich von dem Schreiben der Aufnahmekommission in Kenntnis. Kapitel Rüstzeug eines Studenten der Hochschule für Kinematographie. Hör mal her, was die schreiben.
    Die Künstlerphantasie, heißt es, wirkt nach denselben Gesetzen wie die Natur. Das Lebensgesetz der Natur ist wie das Gesetz der Kunst die Metamorphose. Eli zeigt dem Großvater die Stelle. Hier steht es ganz deutlich: Sie haben uns mit Ihren Ausführungen zur Metamorphose der Pflanzen überzeugt.
    Es gilt nunmehr, dass Sie den positiven Geist der Natur als Phantasiewerk schaffen oder wenigstens als zweite leibhaftige Natur in der Naturwelt erkennen. Denn: Es ist die Phantasie, welche die Metamorphose, die sich in der Natur zeigt, zum zweiten Mal in der Natur leibhaftig erkennt. Die Phantasie bringt, nach denselben Gesetzen wie die Natur, das Gleiche in anderen geselligen Verhältnissen zur sinnlichen Anschauung.
    Der Großvater greift, um die Argumente zu verdauen, noch einmal, und damit eigentlich über das Abendmaß, zur Zigarettenschachtel. Eli tönt wie vom Katheder. In dieser vergleichenden sinnlichen Anschauung ist der Geist in der Lage zu erkennen, dass die Phantasie nicht willkürlich und spielend, sondern wie die Pflanze in der Sphäre des von der Idee beigebrachten Begriffs der Form aus sich heraustreten kann.
    Anton lässt von der neuen Zigarette den Rauch aufsteigen. Er sitzt gerade und behält die Übersicht.
    Von der Pflanze weißt du ja jetzt schon allerhand, sagt er. Aber wie das werden wird mit dem Heraustreten, da musst dudie Augen aufmachen und abwarten. Die Pflanze steckt mit ihren Wurzeln doch eigentlich recht fest.
    Ich glaube, sagt Eli, das meinen die gar nicht so genau, viel wichtiger ist das Vergleichen und Sinnen. Darauf kommt es an.
    Und, fügt Anton hinzu, dass du es dort nicht frühmorgens verpennst.
    Eli hat sich neben den Großvater auf das Sofa gesetzt. Sie ist froh, dass er wieder auf seine normal schräge Art mit ihr spricht. Sie liest das Ganze noch einmal laut, es klingt immer noch wie Papier. Aber den Schluss kann jeder verstehen.
    Wir erwarten Sie, liebe Jugendfreundin Rafaela Reich, am 15. September 10 Uhr in der Mensa. Der Ernteeinsatz erfolgt im Kreis Ketzin in der Genossenschaft Aufbau.
    SVK-Buch, Arbeitsbuch, Abmeldung beim Betrieb und polizeiliche Ummeldung sind beim Prorektor vorzulegen. Die feierliche Immatrikulation findet am 7. Oktober statt.
    Pflichtlektüre: Schiller, Friedrich von. Alle Dramen und Schauspiele.
     
    Ich sehe schwarz, sagt der Großvater.
    Vielleicht kann ich dann in einer Bibliothek arbeiten, oder ich werde Chef in einem Kino, Schauburgchefin oder sogar Filmvorführerin, dann lasse ich dich für umsonst in die Vorstellung rein.
    Du wirst dich umgucken. Antons Rückfall. Es passt ihm gar nicht, dass Eli fortgehen will. In der Nacht nimmt er sich noch einmal das Fremdwörterbuch aus dem Vertiko. Umgestaltung, Verwandlung, so liest er als Erklärung. Zum Beispiel in den griechischen Sagen Verwandlung von Menschen in Tiere, Pflanzen und Steine, wenn aus einem Mädchen eine Myrte wird oder aus einem Kerl ein Bär, das ist eine Metamorphose. Er holt sich den an Rafaela Reich adressierten Brief unter das Licht. Metamorphose. Er wird nicht schlau daraus, wie sie seineEnkelin, mit der er bis jetzt im Ganzen gesehen keine Not gehabt hat, nun umgestalten wollen, warum und in was. Und sie hat es noch selber gewollt. Sie will sich verwandeln lassen. Er, Anton Reich, hatte Eli ein halbes Jahr nach der Bombennacht im Kinderheim wiedergefunden, da war sie ein kleiner kranker Wurm, konnte kaum auf eigenen Beinen gehen, hat im Sommer gefroren und ist am hellen Tag am Bordstein umgefallen und eingeschlafen. Ein Arzt hatte Kreislaufstörung, Rückgratverkrümmung, Mangelernährung und Sehschwäche festgestellt, da hatte er, Anton, als Schieber alter Schule mit Vorkenntnissen aus der Rotfrontkämpfer-Zeit, einen Schrebergarten ergaunert. Er hatte den Garten einem gutgenährten, über die Zeiten fröhlichen Nazi abgenommen. Kamerad, wenn du den Garten nicht mehr brauchen würdest, könnte ich deinen Einsatz in Polen mit Sonderaufgaben ganz leicht vergessen. In diesem Stil. Es war ausgeruhte Erde, fruchtbar. Eimerweise Erdbeeren, Kirschen, grüne Bohnen. Damit hatte er die schwächliche Raupe auf die Beine gebracht. Er hätte es wissen müssen, einer Raupe wachsen eines Tages Stachel oder Flügel oder gar beides.
    Sie hat

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