Sepp und das Millionending
Daß ich aber auch nicht drauf komme!
Zwischen den zahlreichen Fotos, die in seinem Hirn wie ein Film abliefen, schaltete sich immer wieder ein lebendiges Gesicht ein aus Fleisch und Knochen — das Gesicht eines Mannes, dem er Auge in Auge gegenübergestanden hatte, vor vier Wochen im Saal VIII des Museums.
Ja, irgendwie erinnert mich der Mann in der Jagdhütte an den Mann im Museum — an den Bilderdieb! Und trotzdem gibt es so vieles in beiden Gesichtern, was nicht übereinstimmt: Der Mann im Museum trug eine dunkle Hornbrille, der Mann in der Jagdhütte keine — wenigstens nicht, als er uns wegjagte. Aber war der Mann in der Jagdhütte nicht gerade aus dem Schlaf aufgewacht? Ja, er hatte gesagt, wir hätten ihn gestört — und wenn einer schläft, dann zieht er vorher die Brille ab... Oder aber: er sieht genauso gut wie ich und jeder von uns — und die dunkle Hornbrille hatte er damals nur zur Tarnung aufgesetzt!
Mit einem Ruck rollte sich der dicke Willem wieder von der Bauchlage auf den Rücken und strampelte dabei seinen Schlafsack auf den neben ihm liegenden Sepp.
Die dunkle Haarfarbe stimmte überein — jedenfalls soweit ich mich noch erinnere... Aber wenn ich es richtig überlege, dann kommt es mir so vor, als habe der Mann im Museum dichteres Haar gehabt. Ja, der Mann in der Jagdhütte hat vorn an den Ecken der Stirn kaum Haare — fast schon eine Glatze... Allerdings vorhin, als er uns anschrie, da standen und hingen ihm die Haare wirr durcheinander und verdeckten die kahlen Stellen zum Teil... Hm, er muß tatsächlich geschlafen haben, so zerzaust sah er aus!
Und weiter verglich Willem beide Gesichter: Einen Schnurrbart, nein, einen Schnurrbart wie der Mann in der Jagdhütte hatte der Mann im Museum nicht.
Mißmutig über diese Abweichung wollte der dicke Willem den Vergleich schon beenden, als sich sein Verdacht plötzlich neu entzündete.
Einen Schnurrbart kann man sich wachsen lassen! — Vier Wochen sind seit dem Diebstahl vergangen — Zeit genug für den Täter, sich zur Tarnung einen Schnurrbart wachsen zu lassen! Oder ist er vielleicht überhaupt nicht echt? Nur angeklebt?
Diese Überlegungen gaben Willem neuen Auftrieb. Er spürte sein Herz schneller und erregter klopfen, und statt zu frösteln wie vorhin, schwitzte er jetzt, als habe man ihn mitsamt den Kleidern in eine Sauna eingesperrt.
Ich muß den Mann in der Jagdhütte sehen! Jetzt noch, bevor wir morgen früh zur Polizei gehen. Ich will wissen, ob er tatsächlich dem Mann im Museum ähnlich sieht — oder ob ich mir alles nur einbilde, weil ich mir das so wünsche...
Ja, so selbstkritisch ging Willem an den Fall heran. Seit der Dieb aus dem Museum entwischt war, fühlte sich der dicke Willem für dessen Ergreifung mitverantwortlich. Schließlich war er doch der einzige, der ihn wirklich richtig gesehen hatte — falls der Mann überhaupt den Dürer gestohlen hatte. Und weil Willem dem mutmaßlichen Täter begegnet war, wurmte es ihn besonders, ihn nicht auf einem Foto der Verbrecherkartei erkannt zu haben.
Ich muß ihn einfach noch mal sehen, dann weiß ich vielleicht mehr...
Der dicke Willem langte zum Zelteingang hin, wo die Jungen ihre Schuhe abgestellt hatten. In der Dunkelheit erwischte er zunächst Sepps Sandalen.
Soll ich Sepp vielleicht wecken und mitnehmen? dachte er dabei. Aber nein, ich lasse ihn besser schlafen. Er würde mich doch nur für verrückt halten, wenn ich sage, der Mann in der Jagdhütte könne derselbe sein wie der Mann im Museum. Und außerdem könnte Sepp mir gar nicht dabei helfen, denn ich bin der einzige, der den Kerl richtig gesehen hat und ihn deshalb wiedererkennen kann...
Willem rückte im Sitzen ein Stück auf den Zelteingang zu und tastete umher, bis er schließlich seine braunen Halbschuhe fühlte. Er zog sie an und griff dann nach seiner blauen Windjacke, die neben ihm an der Zeltwand lag. Dann riß er den Reißverschluß am Zelteingang auf und streckte den Kopf hinaus. Sogleich schlug ihm der Regen ins Gesicht.
Da jagt man keinen Hund hinaus, dachte er im ersten Augenblick.
Aber der Reiz, vielleicht eine entscheidende Entdeckung zu machen, war stärker als die Scheu, in dieser regendurchpeitschten Nacht allein durch den Wald zu irren.
Entschlossen schlüpfte der dicke Willem aus dem trockenen Zelt hinaus ins Freie und zog den Reißverschluß wieder zu. Dabei übersah er, daß er den unteren Teil — etwa eine Handbreit — offenließ.
Ausgerechnet die Richtung, aus der ihm der
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