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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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erklärt hatte was er gegen die Augenentzündung seines ältesten Sohnes unternehmen könne) Farida war von der Küche sehr angetan sie sprachen das erste Mal seit langem wieder einmal davon wie sie sich kennengelernt hatten auf dem Suk as-Saray und von ihrer Zeit in Paris und dann kam das Gespräch auf London und darauf dass sie sich wünschten dass ich Bagdad dass ich den Irak verließe für einige Studienjahre wenigstens es wäre ihnen eine große Erleichterung und es wäre die beste Chance für mich
    was blieb mir schon
    ich musste sagen: wenn ihr es wünscht
    und jetzt denke ich dass es noch lange hin ist bis zum Herbst 2003 noch mehr als ein Jahr
    Geliebter Du könntest vielleicht auch kommen vielleicht könnte Dir Dein Onkel auch das Studium in England finanzieren aber natürlich sage ich jetzt (vor unserem ersten Kuss) darüber noch kein Wort Du hast den kleinen Achmed auf dem Schoß und wir hören beide seinem Bodybuilding-Geplapper zu Du gratulierst mir für meine gute Note für das Babylon-Referat es ist wieder ein milder warmer Abend mit einer röteren größeren sandverschleierten Sonne jedoch eines Tages wirst Du
    den gleichen Sprung machen
    wie Yusuf wenn er meinen Bruder Sami besucht der jetzt in meinem Rücken auftaucht ich sehe wie Du ihn freundlich begrüßt aber dann ändert sich der Ausdruck Deines Gesichts etwas ist nicht in Ordnung
    Du musst kommen! sofort! was
    redest du immer mit dem! sagt
    mein kleiner Bruder ich kann es gar nicht fassen und drehe mich um noch nie sah ich ihn in einem solchen Zustand er ist leichenblass die Lippen sogar seine Hände zittern ich kann Dir nur noch entschuldigend zulächeln dann zieht mich mein Bruder in die Höhe mit grobem Ungeschick was hat er nur was kann so dringend sein
    im Wohnzimmer
    sitzt mein Vater die Ellbogen auf die Knie gestützt den Kopf zwischen den Händen
    krümmt sich meine Mutter auf dem Sofa zusammen als wühle ihr etwas in den Eingeweiden
    richtet
    sich mein Schwager Kasim auf als wir hereinkommen aber nur langsam es scheint als presse eine unsichtbare Gewalt in diesem Raum alles zu Boden als habe sich die Schwerkraft verdoppelt oder als sei ein unsichtbares bleiernes Medium überall verteilt worden es kann nicht sein denke ich etwas stimmt nicht egal was es ist egal was Kasim nun sagt das hier
    darf nicht
    geschehen

 
    Martin
     
    Hör auf zu fantasieren
    sagt Seymour
    er meint: wenn du Afghanistan verstehen willst dann verstehe
    die Macht
    ihre blutige Schneise durch die
    Schattenwälder
    der Zeit
    sieh auf Kabul und allenfalls noch Kandahar auf das Zentrum denn darum geht es sonst spielen nur einige wenige Zufahrtsstraßen eine Rolle und die wichtigsten Gebirgspässe und Handelsrouten
    griechische persische mongolische Eroberer besetzen das Land
    und gleiten ab versickern verlieren sich in bitteren Wintern 1842 der Zug der britischen Indus-Armee 16 000 Menschen von denen ein Einziger entkommt Fontane schreibt sein afghanisches Gedicht (die Literatur verneigt sich
    vor den Unbekannten)
    die Statuen von Bamiyan sagt Seymour ich hatte vergessen wie sie aussahen was wenn sie dort Buddhisten geworden wären?
    nun fantasiert er
    Buddha verließ Afghanistan auf dem Weg nach China
    Mohammed blieb
    nur der Islam als kämpferischste störrischste patriarchalischste Religion war imstande die Wurzeln in den kargen felsigen Boden zu treiben eine Religion von Beduinenstämmen für Paschtunenstämme strenge Panzer schwere erdrückende innere Rüstungen Seelenverliese mit starkem Lichteinfall durch eine Maske feinster Löcher vor dem verbannten Gesicht ist nichts als das gestaltlos gleißende absolute Lichtmeer
    Allahs oder
    die Faust der Männer die
    Seele tanzt im Gewebe der Teppiche
    konkrete Dinge
    sagt Seymour es sind
    konkrete Dinge die Zusammenhänge sind politisch
    die Länder sage ich sind konkreter als das Politische sie sind die Bühne die immer überlebt die Eisberge die Flüsse die Steppen die riesigen Ebenen die schier unumstößliche Permanenz der Landschaft das Zerrissene Fraktale die Wüsten das ist konkret und die Sedimentierungen Verkrustungen die Narben und Weihen der Tradition ich will wissen weshalb der Tod ausgerechnet von dort gekommen ist und nicht von woanders her
    sie hatten zu viel davon
    sagt Seymour sie mussten exportieren
    1,6 Millionen am Ende der sowjetischen Invasion
    er hat die Bemerkung leichthin gemacht aber jetzt erschrecken wir beide über das Ausmaß des damaligen Krieges weil wir eine andere Beziehung zu den

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