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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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Schlaf fallen wie in ein großes weiches dunkles Tuch ich dachte dass ich vielleicht bald ihr helfen müsste auch wenn ich überhaupt nicht wüsste wie
    der Körper
    der mich trösten konnte
    war noch nicht in mir geboren in meiner Sehnsucht nach Dir
    Geliebter
    als wir anderntags nach Uruk weiterfuhren war ich seltsam fröhlich und ich steckte meine Eltern damit an und sie begannen plötzlich im Auto Lieder von Umm Kulthum zu singen
    auf meinem Plan
    faltet der Grundriss der Stadt seine rechteckigen Drachenflügel über dem Euphrat auf ich zeichne mit Kreide auf den von Sprüngen und Rissen durchzogenen Schiefer der alten Tafel unseres Klassenzimmers ich skizziere den Verlauf des Euphrat und der Außenmauern die Position der Tore die Lage der Brücken und der Tempel den quadratischen Sockel des Turms ich spreche frei flüssig leicht wie
    ferngesteuert oder wie in einem Traum
    von mir selbst über
    Babylon
    die Gesichter meiner Klassenkameradinnen scheinen zu müden Seerosenblüten verflacht vor dem Teichgrün der geschundenen Wände am Schluss reichte ich Fotokopien der Stadtzeichnungen des Berliners Robert Koldewey aus dem Jahr 1912 herum es sind perspektivische Ansichten des Südpalastes darunter und ich habe für Sekunden das absurde Gefühl als könnten meine Klassenkameradinnen dort auch mich und meine Eltern zu stecknadelkopfgroßen Tuschefigürchen verkleinert vor den schraffierten Mauern auf- und abgehen sehen
    es fehle nur
    noch einmal auf die bedeutende Rolle der irakischen Grabungen und Wiederaufbauten hinzuweisen und es wäre auch angebracht gewesen das Zitat aus dem historischen Werk unseres PRÄSIDENTEN das ich doch der schriftlichen Fassung meines Vortrags vorangestellt hatte
    esistfalschdieGeschichtealsLeere
    oderetwasvordemIslamdessenman
    sichschämenmüssteanzusehen
    auch in meiner mündlichen Einleitung vollständig
    ( esistnotwendigdassunsereAnalyse
    historischerEreignisseganzaufder
    LinieunsererbaathistischenSichtbeim
    AufbauderarabischenNationliegt)
    wiederzugeben
    und so erhalte ich von unserem Geschichtslehrer die Bestnote mit einem kleinen Punktabzug
    Bravo! wirklich fast
    wie meine Mutter versichert mir Huda in der Pause du kannst vielleicht auch einmal in einem leergeräumten Nationalmuseum die Leute herumführen entschuldige
    und erzähl uns was über i-h-n! unterbricht sie Eren wir wollen es genau wissen
    ja ist er jetzt ein richtiger Mann oder was? Hudas indische Augen leuchten spöttisch sie hat mehrmals diesen Witz erzählt in dem eine Frau die man darauf aufmerksam machte dass sie im Begriff sei die Herrentoilette zu betreten verwundert fragte ob denn etwa Osama bin Laden darin wäre denn das sei ja der einzige richtige Mann in den arabischen Ländern
    keine von uns hat eine Ahnung
    von richtigen oder falschen Männern ich denke vielleicht liegen sie über uns wie der babylonische Löwe über dem gestürzten Opfer vielleicht
    bin auch ich einmal
    die Löwin über Dir im Museumsarchiv zeigte mir Huda eines Nachmittags die Bronzeplaketten aus Babylon in denen kräftige Männer füllige Frauen auf ihren Stacheln emporheben
    Ischtar als geflügelte
    Königin der Nacht
    steht mit den Klauen eines Adlers auf dem Rücken eines Löwen flankiert von großen Eulen die Hände erhoben mit Ring und Stab den Insignien der Macht Fruchtbarkeit und Liebe sie trägt sonst nichts als ihren Schmuck und ihr nackter Körper
    (die runden Schultern die festen Arme und Beine die trotz des weichen Bauchs sehr schmale Taille die vollen Brüste mit großen Warzenselbst der hoch sitzende Nabel und der genaue Linienschwung der Hautfalten zwischen Leisten und Scham)
    gehört mir
    die Fotografie schenkte mir Hudas Mutter Schiruk als hätte sie mich so gesehen und in Stein gebannt die Keramik (49,5 x 37 cm) steht im British Museum
    also bin ich schon dort in London (Geliebter) als wir (vor sechs langen Wochen) Babylon verließen um Uruk zu besichtigen verbesserte sich die Laune meines Vaters entschieden vielleicht weil es dort keine Paläste mehr gab kein Mausoleum keine säuberliche Rekonstruktion sondern nur die Schutthalden die stumpfen Hügel und abgeschliffenen Reste die ältesten Mauern des Irak tief in messingfarbener Erde
    hier wünscht man sich doch gleich eine Schaufel! rief er und am Abend redeten wir über vieles über das wir uns noch nie unterhalten hatten es war im Garten eines Restaurants wir bekamen einen besonders schönen ruhig gelegenen Tisch unter einem Blätterdach (nachdem Tarik dem Besitzer

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