September. Fata Morgana
verfluchte ihn rettete mich nicht mein Atheismus davor
der mich alle zwei Wochen in eine der hundertjährigen neugotischen oder halb-byzantinischen New Yorker Kirchen treibt zumeist in die Cathedralof Saint John the Divine (weil sie nahe liegt oder weil ihre pure Größe mir Luft zum Atmen gibt der nicht nutzbare Raum der spirituelle Überfluss die kühle Leere ein nicht sogleich wieder von Bankern Maklern Behörden wütenden Anwohnern skrupellosen Spekulanten profilierungssüchtigen Politikern klientensuchenden Psychiatern umkämpftes sinnloses Volumen über den Gebetsbänken ich wollte
an Ground Zero
nur einen einzigen gläsernen Sarg und so
bin ich
wie alle anderen) und ich bete für Sabrina
zu NICHTS
ohne
Worte denn nur so kann ich glauben dass meine Fürbitte erhört wird dass das Nicht-Ausgesprochene in eine undenkbare Erfüllung gehen wird in der
Nacht liege ich endlich müde und zerschlagen von einem dreistündigen Fußmarsch im Bett in mir vibriert der Nachhall der Stadt aber schon fern es ist als würde ich in einen Abgrund fallen weg von der lärmenden Oberfläche es muss ekstatisch sein dieses endgültige
Loslassen
und Zerteilt-Werden ich denke manchmal dass ich es einfach so schaffen könnte diesen
Übergang
wenn ich nur in der Lage wäre das Loslassen über einen bestimmten Punkt hinauszutreiben aber zumeist kommt nur der Schlaf oder ein plötzlicher Schmerz oder vitaler Impuls und jetzt ist es trotz des Fußmarsches und aller Mühe wieder die englische Expertin die meine verbliebenen Reste männlicher Energie aufstachelt zu einem eher quälerischen
Fragezeichen
sprechen wir doch noch einmal über diese Frauen
(sagt Luisa) am folgenden Nachmittag der plötzlich und endlich da ist sie vom JFK-Airport abzuholen mit der U-Bahn und dem Bus zu fahren war befreiend und fast wie zeitlos nur noch das Beiseiteschieben des Vorhangs Wirklichkeit draußen in Queens die ärmlichen Holzhäuser und verwilderten Spielplätze in fast allen Vorgärten noch Flaggen in meinen U-Bahn-Waggon kam ein riesiger betrunkener fast zahnloser Schwarzerder sich uns gegenübersetzte und mich anredete weil er mich für einen vom Flughafen kommenden Touristen hielt für einen
Russen
nämlich dem er unbedingt erzählen musste dass im World Trade Center ohnehin nur reiche Leute gestorben seien deren Angehörige man mit Geld füttere während für die Armen weiterhin nichts getan werde
Luisas Reisetasche
steht in dem kurzen Flur des Apartments als
hätte sie sich noch nicht entschlossen zu bleiben als hinge es von unserem Gespräch bei einer Tasse Kaffee in der kleinen Küche ab ob sie hier logiere oder von meinen Bemerkungen zu
Goethes Frauen
denn sie habe noch einmal in mein Manuskript geschaut nachdem ich sie am Telefon gebeten hatte es nicht mitzubringen sie begreife dass ich mich noch nicht wieder auf etwas so Persönliches wie die literarischen Porträts dieser Bürgerfrauen aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert einlassen könne es wäre aber bedauerlich Goethes Vita sei eigentlich wie eine Laterne die man in die dunkle verschwiegene Frauenwelt jener Zeit hineinhalte und man habe doch sehen können was für eigensinnige starke duldsame und hingebungsvolle Menschen das gewesen seien noch die bürgerlichsten wie Lotte und Lili mit zwölf beziehungsweise sechs Kindern oder die kühl-frigide Seelenzuchtmeisterin von Stein die erst einmal sieben Nachkommen mit dem herzoglichen Stallmeister in die Welt setzen musste bevor sie wieder zu ihrer Bestimmung als weibliches Porzellan fand
am Ende
sage ich über den kleinen Bistrotisch hinweg dessen rötliche Platte uns voneinander trennt als säßen wir in einem Straßenrestaurant
hat es mich deprimiert wie spurlos diese Frauen verschwunden wären hätten sie nicht in Goethes Romanen oder Gedichten oder Lebensanekdoten ihren Platz gefunden diese Dunkelheit
in der Millionen lebten und Milliarden heute sagte Luisa auch wenn sie sich verzweifelt mit den Blitzlichtern ihrer Digitalkameras beleuchten das waren gute Ansätze nein gelungene Ausführungen von dir
am Ende habe ich nichts Neues zu dieser Flut von Literatur über die Goethe-Lieben beigetragen
aber doch unterbricht mich Luisa ich habe das Vorwort noch einmal gelesen diese Trinitäts-Hypothese war schon griffig also dass es drei Frauen in seinem Leben gab die schwerwiegende literarische Konsequenzen hatten nämlich Lotte Marianne und Ulrike dass wiederum drei Frauen ihn ernstlich liebten eben Christiane
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