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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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verfluchte ihn rettete mich nicht mein Atheismus davor
    der mich alle zwei Wochen in eine der hundertjährigen neugotischen oder halb-byzantinischen New Yorker Kirchen treibt zumeist in die Cathedralof Saint John the Divine (weil sie nahe liegt oder weil ihre pure Größe mir Luft zum Atmen gibt der nicht nutzbare Raum der spirituelle Überfluss die kühle Leere ein nicht sogleich wieder von Bankern Maklern Behörden wütenden Anwohnern skrupellosen Spekulanten profilierungssüchtigen Politikern klientensuchenden Psychiatern umkämpftes sinnloses Volumen über den Gebetsbänken ich wollte
    an Ground Zero
    nur einen einzigen gläsernen Sarg und so
    bin ich
    wie alle anderen) und ich bete für Sabrina
    zu NICHTS
    ohne
    Worte denn nur so kann ich glauben dass meine Fürbitte erhört wird dass das Nicht-Ausgesprochene in eine undenkbare Erfüllung gehen wird in der
    Nacht liege ich endlich müde und zerschlagen von einem dreistündigen Fußmarsch im Bett in mir vibriert der Nachhall der Stadt aber schon fern es ist als würde ich in einen Abgrund fallen weg von der lärmenden Oberfläche es muss ekstatisch sein dieses endgültige
    Loslassen
    und Zerteilt-Werden ich denke manchmal dass ich es einfach so schaffen könnte diesen
    Übergang
    wenn ich nur in der Lage wäre das Loslassen über einen bestimmten Punkt hinauszutreiben aber zumeist kommt nur der Schlaf oder ein plötzlicher Schmerz oder vitaler Impuls und jetzt ist es trotz des Fußmarsches und aller Mühe wieder die englische Expertin die meine verbliebenen Reste männlicher Energie aufstachelt zu einem eher quälerischen
    Fragezeichen
    sprechen wir doch noch einmal über diese Frauen
    (sagt Luisa) am folgenden Nachmittag der plötzlich und endlich da ist sie vom JFK-Airport abzuholen mit der U-Bahn und dem Bus zu fahren war befreiend und fast wie zeitlos nur noch das Beiseiteschieben des Vorhangs Wirklichkeit draußen in Queens die ärmlichen Holzhäuser und verwilderten Spielplätze in fast allen Vorgärten noch Flaggen in meinen U-Bahn-Waggon kam ein riesiger betrunkener fast zahnloser Schwarzerder sich uns gegenübersetzte und mich anredete weil er mich für einen vom Flughafen kommenden Touristen hielt für einen
    Russen
    nämlich dem er unbedingt erzählen musste dass im World Trade Center ohnehin nur reiche Leute gestorben seien deren Angehörige man mit Geld füttere während für die Armen weiterhin nichts getan werde
    Luisas Reisetasche
    steht in dem kurzen Flur des Apartments als
    hätte sie sich noch nicht entschlossen zu bleiben als hinge es von unserem Gespräch bei einer Tasse Kaffee in der kleinen Küche ab ob sie hier logiere oder von meinen Bemerkungen zu
    Goethes Frauen
    denn sie habe noch einmal in mein Manuskript geschaut nachdem ich sie am Telefon gebeten hatte es nicht mitzubringen sie begreife dass ich mich noch nicht wieder auf etwas so Persönliches wie die literarischen Porträts dieser Bürgerfrauen aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert einlassen könne es wäre aber bedauerlich Goethes Vita sei eigentlich wie eine Laterne die man in die dunkle verschwiegene Frauenwelt jener Zeit hineinhalte und man habe doch sehen können was für eigensinnige starke duldsame und hingebungsvolle Menschen das gewesen seien noch die bürgerlichsten wie Lotte und Lili mit zwölf beziehungsweise sechs Kindern oder die kühl-frigide Seelenzuchtmeisterin von Stein die erst einmal sieben Nachkommen mit dem herzoglichen Stallmeister in die Welt setzen musste bevor sie wieder zu ihrer Bestimmung als weibliches Porzellan fand
    am Ende
    sage ich über den kleinen Bistrotisch hinweg dessen rötliche Platte uns voneinander trennt als säßen wir in einem Straßenrestaurant
    hat es mich deprimiert wie spurlos diese Frauen verschwunden wären hätten sie nicht in Goethes Romanen oder Gedichten oder Lebensanekdoten ihren Platz gefunden diese Dunkelheit
    in der Millionen lebten und Milliarden heute sagte Luisa auch wenn sie sich verzweifelt mit den Blitzlichtern ihrer Digitalkameras beleuchten das waren gute Ansätze nein gelungene Ausführungen von dir
    am Ende habe ich nichts Neues zu dieser Flut von Literatur über die Goethe-Lieben beigetragen
    aber doch unterbricht mich Luisa ich habe das Vorwort noch einmal gelesen diese Trinitäts-Hypothese war schon griffig also dass es drei Frauen in seinem Leben gab die schwerwiegende literarische Konsequenzen hatten nämlich Lotte Marianne und Ulrike dass wiederum drei Frauen ihn ernstlich liebten eben Christiane

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