September. Fata Morgana
kahlen Hotelzimmer in Al-Hillah fand ich noch Worte für meinen Hass und schrieb auf die Rückseite von alten Speisekarten auf dem geschundenen Palimpsest von Babylon während Muna und Farida nebenan in einem Bett schliefen
jetzt
starre ich nur sprachlos auf
eines dieser fürchterlichen pseudo-assyrischen Porträts des vergilbten PRÄSIDENTEN über dem Krankenbett des Baath-Mannes KEINNAME der mit meinem Hausbesuch zwar rechnen konnte aber doch nicht so rasch
gehen wir hinaus
sagt er und ich stützte ihn als er im Pyjama in den Innenhof seines baufälligen alten Hauses hinunterhumpelt ich weiß kaum wie es mir gelingt jemanden zu stützen zu beraten zu behandeln seit zwei Tagen agiere ich wie ein Roboter um mich nicht schreiend am Boden zu wälzen neben meiner Frau die weint schweigt
weint und wie versteinert in der Küche sitzt
seit Kasim in unser Wohnzimmer taumelte um von Jasmins Verhaftung Verschleppung vielmehr zu berichten (ich habe ihn nie leiden mögen und erst jetzt im Augenblick des Zusammenbruchs überwand ich zum ersten Mal meine Vorbehalte und drückte ihm die Schulter)
sieht es wie eine persönliche Sache aus fragt KEINNAME nervös an der Zigarette ziehend die er mit seinen schwachen Herzklappen keinesfalls rauchen sollte ich hätte sehr gut daran getan
sofort
zu schweigen
und nur ganz indirekt nach Jasmin zu suchen bei einer persönlichen Sache (Kasim deutete etwas mit dem Major an jener Hochzeitsgast der mit seinen khakifarbenen Freunden der ganzen Familie im Magen lag es könnte sich um eine enttäuschte Verliebtheit oder einen zurückgewiesenen Annäherungsversuch handeln oder gar – er wagte nicht in Faridas Anwesenheit deutlichere Anspielungen zu machen) sei Geduld nötig man müsse
sondieren
aber es bestünden auch bessere Aussichten wenn man jemanden mit gutem Fingerspitzengefühl beauftrage ich
setzte starke Schmerztabletten ein
ein Drittel meiner stillen Reserve und erfahre den Namen eines Anwaltes den ich ganz privat besuchen solle oder in meiner Eigenschaft als Arzt
zuvor aber
kam mir noch mein alter Gönner Prof. Dr. Khalid Yussef in den Sinn
dessen Name in der Nobelklinik für lebendige Assyrer die von den triumphalen Fortschritten der irakischen Medizin seit drei Jahrtausenden am Leben erhalten werden niemandem mehr etwas sagte der auch nicht mehr jene Villa in Mansur bewohnte und den ich dann in einer kleinen schäbigen Betonwürfel-Praxis in Neu-Bagdad finde die bis hin zu den Patientenschlangen im Treppenhaus der meinen gleicht
gehen wir hinaus
sagt Khalid ich kann ohnehin eine Pause gebrauchen und nickt seiner Frau zu einer hageren Dame mit Kopftuch die einmal sehr schön gewesen sein muss und die seine rechte Hand geworden sei nachdem er die Dummheit begangen habe nicht Parlamentsabgeordneter werden zu wollen und nach der Dienstverpflichtung in ein Militärkrankenhaus im Norden die zweite Dummheit nämlich einem Deserteur nicht zur Strafe einen Fuß amputieren zu wollen
in der Sonne auf dem Balkon
glänzt der glatte runde Stumpf des Unterarms
ein Freund hat es gemacht ein alter Kollege auf den ich mich verlassen konnte mit großer operativer Routine sagt er scheinbar gleichmütig hier hilft die professionelle Coolness des einstigen Star-Chirurgen dem die Saddamsche Lotterie die seit drei Jahrzehnten unsere Schädel in ihrer Trommel rollen lässt ein schäbiges Los hingeworfen hat
sie könnte in Baladiyat sein im Frauengefängnis wenn du
sondierst
(die gleiche Formulierung ich muss mich auf immer neue Umwertungen meiner Terminologie gefasst machen)
und im richtigen Augenblick an der richtigen Stelle
zahlst
dann habt ihr Chancen erklärt der ehemalige Chefarzt was haben sie mit der abgetrennten rechten Hand gemacht legen sie Sammlungen an fragt man sich aber ich schweige natürlich sein Schnurrbart verdeckt die Oberlippe man kann nur an den Fältchen um die Augen sehen dass er sich beherrschen muss
zwei Tage bin ich krank
habe ich zu Laila gesagt die genügend Routine besitzt um meine Patienten zu vertrösten abzuwimmeln und die meisten auch nicht viel schlechter zu verarzten als ich es könnte
der Anwalt (Sondeur) hat ein Haus in der Nähe des Wahda-Parks ich brauche nur eine halbe Stunde zu Fuß bis dahin das rasche und häufige Gehen ist meine einzige Fitness-Aktivität die mich so viele Jahre zwischen den Patientenbesuchen immer aufgerichtet und belebt hat die mich sogar in einem gewissen Sinn mit meiner unschönen fluchbeladenen traurigen
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