September. Fata Morgana
hinter der sich gar nichts befindet ich komme nicht weiter
mit dem Gedicht
also vertausche ich das Notizbuch mit dem CD-Player und träume senke die Lider
das Auge ist
Erinnerung
und höre bis der Zug endlich Manhattan erreicht
time is just memory mixed with desire
(singt Tom Waits würde sie das hören)
die arabische Prinzessin im steinernen Herzen von Babylon die große Einfahrt in die Stadt der Türme
hier
zeigte mir Martin einmal das rote Backsteinhaus mit dem schwarzen Akkordeon der Feuerwehrleitern davor in dem sie noch die ersten sieben Monate der Schwangerschaft verbrachten wir stiegen sogar die Treppen hinauf bis zum dritten Stock es gab immer noch keinen Fahrstuhl und ich glaubte fast die Ermüdung Amandas zu spüren die mich hier hochschleppte jedoch war sonst alles renoviert und kaum wiederzuerkennen
bevor Amanda und Seymour die Wohnung in Midtown bezogenbin ich nur zweimal in New York City gewesen und in den letzten vier Jahren habe ich mich bloß daran gewöhnt öfter hier zu sein ohne dass ich mich je heimisch gefühlt oder die Stadt sonderlich gemocht hätte ich lernte aber mich ihr anzupassen wie jetzt eben auch auf dem belebten unterirdischen Bahnsteig der Penn Station oder beim Hinaustreten in den Irrgarten von Straßenschluchten Reklametafel-Verhauen gelben Taxis und eiligen Passanten dessen dröhnende Wirklichkeit mir den kurzen Adrenalinstoß versetzt den es braucht damit ich mich so rasch und gezielt bewege dass mich jeder für eine routinierte Städterin oder Reisende hält
nur als mich Lotta vor zwei Jahren hier besuchte
war ich unverhofft stolz auf Manhattan ich ging mit ihr die Wege zu Fuß die ich sonst auch am liebsten gehe von der Penn Station aus zu Barnes & Noble dann durch die 34. Straße auf das Empire State Building zu (vor dessen Eingang man sich stellen und den Kopf ins Genick kippen lassen sollte um raketenähnlich in drei gewaltigen Stufen und auf sieben Fenster-Straßen zugleich in den Himmel zu fahren Lotta wurde es tatsächlich schwindelig) wir saßen im Bryant Park unter einem Sonnenschirm tranken Milchkaffee und mussten einmal nicht wie es mit Martin unweigerlich der Fall gewesen wäre den Büchertempel der New York Public Library besuchen Lotta zog mich auch viel lieber durch die Boutiquen der Fashion Mile die Pracht-Läden der Fifth Avenue durch nahezu sämtliche Stockwerke von Macy’s
das Paradies!
rief sie (nur mit halber Ironie) ich stelle mir vor wie sie (vielleicht etwas blasser ein wenig durchscheinend oder an der Grenze zu einem überblendungsartigen Transparent-Werden) mit ihren Einkaufstüten lachend durch eine nicht enden wollende Mall schlendert unermüdlich Wochen und Monate und Jahre lang ohne Schlaf ohne Gefahr nichts als seltsames ätherisches himmelblaues Eis verzehrend und ihren Durst an eigenartigen klinischen Softdrinks stillend zuverlässig bedient von
Engeln
von Verkäufern unglaublich adretten fantastisch höflichen jungen Frauen und Männern die herrliche Schuhe Röcke Pullover Schmuckstücke präsentieren ohne je aufdringlich zu werden und wenn du eine versehentliche Bewegung machst die dir ein leichtes Aufprallen oder einenkleinen Stoß gegen ihre Körper zumuten würde dann spürst du nichts als die Nachgiebigkeit eines Vorhangs oder Daunenkissens
nur deine Mutter
könnte dich erreichen mit einem speziellen Klingelton
du kommst nach Manhattan? was hast du mir da auf die Mailbox gesprochen? du bist schon da? du willst verreisen? morgen Nachmittag schon? hör zu ich werde nicht da sein ich bin geschäftlich unterwegs und übernachte in East Hampton das ist praktischer aber ich fahre morgen früh direkt ins Büro wir sehen uns dort so gegen neun wenn du das schaffst dann reden wir geh mit Seymour essen sei nett zu ihm du bist schließlich erwachsen bye
mit dem Anruf erwachst du als wärst du in einem
Sturz
gegen das rahmenlose himmelshohe glasharte Bild der Little Brazil Street geprallt ONE WAY NO STANDING ANY TIME GET DREAMS MILK CHOCOLATE YOUR WORLD GET ORGANIZED MOVIN’ OUT CUT YOUR ein Gewirr von Flächen Masten Verblendungen Autoblech Streifen Fenstern wie Schweißglut dazwischen spritzendes Sonnenlicht die Flucht kann nur in die Höhe führen an den oberen stillen Rand des Canyons unter dem wolkenlosen Himmel
von der Küche aus sieht man ein Hochhaus mit einer dunkel verspiegelten Frontfassade und einer von zehn Stockwerke hohen Werbetafeln verkleideten Seitenwand (HSBC – SAMSUNG – COCA-COLA)
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