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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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hinabstoßen auf Miniaturtaxis Spielzeugbusse Insektenmenschen Zebrastreifen Baustellenauswürfe während der Blick vom Living Room auf eine Gruppe von kompakten düsteren Türmen mit auffallenden gestuften Zwischendächern führt in den Himmel explodierte metallverkleidete Burgen das Empire State Building siehst du schön vom Bett aus King Kong winkt dir jeden Morgen zu
    was soll ich
    Seymour
    sagen der kaum dass ich einen Tee gekocht habe plötzlich vor mir steht und interessiert meinen blauen Rucksack betrachtet den ich gegen einen Küchenschrank gelehnt habe er müsse nur einige Unterlagen holen und hätte nicht viel Zeit ob ich plane für länger zu verreisen
    morgen schon? nach Kalifornien? sehr schön erklärt er gibst du mirauch eine Tasse Tee er setzt sich zu mir an den Tisch mit Blick auf einen fünf Meter hohen schwarzhaarigen Schoßhund (die Hongkong-Shanghai-Bank) sein hellblondes sonnengebleichtes Haar und die gebräunte sommersprossige Haut seines Gesichts und seiner kräftigen Unterarme die aus dem akkurat umgeschlagenen blau gestreiften Hemd ragen sagen sehr deutlich dass er ein wunderbares Segelwochenende hinter sich hat nur wird
    meine Mutter
    heute Nacht nicht bei ihm schlafen
    ich weiß nicht ob er es schon weiß also sage ich rasch dass ich jetzt nur kurz da sei um den Rucksack abzustellen das wäre praktisch weil ich Eric (der Junge aus East Hampton dessen Fahrrad Amanda auf dem Gewissen hat) morgen Nachmittag am nahe gelegenen Virgin Megastore treffen möchte und so könne ich ungehindert einige Einkäufe machen bevor ich zu einer Freundin auf die Upper East Side fahre um dort zu übernachten
    Amanda sagte du würdest heute hier schlafen –
    ich bin erwachsen
    das habe ich nicht vergessen deshalb werde ich jetzt so tun als wäre es mir nur um die Planung fürs Abendessen gegangen
    tut mir leid sage ich und tatsächlich erscheint er mir jetzt wo ich erfolgreich abgewehrt habe in eines seiner speziellen Restaurants ausgeführt zu werden etwas bedauernswert ich bewundere ihn für die innere Ruhe und Gelassenheit mit der er alles aufnimmt niemals werde ich so entspannt sein können wie er vielleicht ist es die jahrzehntelange Übung im Geschäftsleben die ihm hilft seine Nerven so gut zu kontrollieren dass er mit all den Launen und scharfen Wendungen und plötzlich ausfallenden Nächten meiner Mutter zurechtkommt (hat er Mrs Donally bestochen dass sie heimlich Fotos von Leslie schießt der sich durch die Hagebuttenbüsche seines Sommerhauses drückt was Iris natürlich niemals tun würde und was uns dann auf den eigenartigen und überhaupt nicht verständlichen Umstand bringen könnte dass wir diese unscheinbare und sensationelle Haushälterin beide sehr mögen) sollen wir etwa darüber reden was von ihrer kurzen Ehe noch übriggeblieben ist ich kann die Lebenslust und Gier die Disziplin und Nervenstärke dieser über fünfzigjährigen Menschen nur hilflos anstarren sie kommen mirvor wie Riesen mit der Haut von Elefanten ausgestattet mit einer unerklärlichen Großartigkeit Großspurigkeit vielmehr so als wäre alle Welt für sie gemacht ich
    möchte einfach nur gehen
    draußen scheint die Sonne in die Straßenschluchten und in die Parks ich kann meine Mutter nicht verstehen die ihre Ehe mit Seymour eines untersetzten weniger attraktiven und nur mäßig witzigen Drehbuchschreibers wegen riskiert (oder ist das vorbei und Seymour bleibt deshalb so ruhig) was soll ich ihm sagen ich kann ihn doch nicht trösten das wäre lächerlich im Gegensatz zu Julia die meinen Vater »interessant« findet sind die älteren Männer für mich wie eine andere Säugetierart (größer und bedrohlich) mit der ich möglichst wenig zu schaffen haben möchte gerade auch wenn sie so väterlich tun aber Seymour hat von seinen Zwillingen her noch Übung und es gelingt ihm nicht selten
    mich in lange Gespräche und Diskussionen zu verwickeln
    (überlegt er jetzt wie er es dieses Mal anstellen kann obgleich er doch vorgab keine Zeit zu haben?)
    vorwiegend indem er mich auf mein Studium anspricht als wüsste ich schon etwas nach einem einzigen Jahr am MIT über
    die Erde
    aus der er sein Lebtag lang
    Öl gesaugt hat obgleich er aussieht als hätte er sie immer nur umsegelt jemand muss sich ja (behauptet er) um die Blutbahnen dieser grandiosen Häusermasse vor unserem Fenster (GET REAL) kümmern die Erdkruste mit Bohrern durchbrechen die sich heutzutage polypenartig ausgreifend durch die Gesteinsschichten fressen um den

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