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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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nebeneinander auf geschwisterliche Weise in einem Bett Du verzerrst so leicht das Bild einer Jugend die ebenso gierig und zärtlich und elend und großmütig sein wird (gewesen sein muss) wie Deine eigene und selbst wenn es geschähe dass Du trotz Deiner romantischen Verliebtheit in Eric oder gerade deswegen oder aus keinem anderen Grund als dem der Gelegenheit und des gleichsam automatischen Einrastens eines robusten unverwüstlichen biologischen Mechanismus mit ihm schläfst wäre das
    nur ein Moment des Lebens der Dir allein gehört was
    auch immer geschieht an diesem
    gläsernen Ort an dem sich Zukunft und Vergangenheit vernichtend und zeugend berühren
    es wird nie kompakt und deutlich werden es ist nichts als das Geschwirr durchsichtiger Phantome in Deinem Kopf es ist ein gläserner Knoten in der gläsernen Stadt der zerreißt
    was bleibt sind die harten endgültigen Farben in Stein Glas Asphalt sind der Schweiß und Duft Deiner Jugend in der unerbittlichen Wirklichkeit des letzten Abends die wenigen
    Augenblicke vor dem Durchsichtig-Werden oder der hypothetischenVerflüssigung der Dinge im Moment in dem Du auf der Sixth Avenue reflexhaft und fast panisch Dein Mobiltelefon hervorziehst und keine Taste darauf drückst sondern im Menschenstrom stehenbleibst als hätte Dich eine Zauberhand (die Nebelhand eines Dschinns) auf dem Kapitell einer einsam stehenden Säule abgesetzt ein unsichtbarer rauschender Abgrund umgibt Dich und Du spürst die Mitleidlosigkeit und das Grandiose der Stadt im selben Atemzug ein Spiegel aller möglichen Zustände vor Dir Du könntest jederzeit jemanden erreichen den Du kennst Deine Mutter Deinen Vater Deinen neuen Freund all die Freunde und Kommilitonen in Boston aber
    Du schweigst Du drückst keine Taste und
    so
    verwandelst Du die Stadt in eine Stadt ohne Namen ohne Deinen eigenen Namen also unvermeidlicherweise auch
    mehr kann man
    über Dich nicht sagen
    weiter nicht denken als bis zu diesen Augenblicken oder
    Du nimmst Dir einfach ein Hotelzimmer auch wenn Du das bislang nur selten gemacht hast es erinnerte Dich an die Europareise mit Deiner Cousine Lotta vielleicht aber auch an Paris an die letzte gemeinsame Reise mit Deinen Eltern weil Du damals (mit dreizehn) zum ersten Mal ein eigenes Hotelzimmer erhieltest sogar in einem anderen Stockwerk als dieses sich mühsam vor Dir beherrschende Paar dessen aktivistische Verbitterung (der Louvre der Montmartre die Oper die berühmten Cafés die Buchhandlung Shakespeare & Co ) dich quält und das streitend
    Deinen Namen auslöscht
    einmal erwachtest Du lange vor ihnen und gingst einfach auf die Straße hinaus eine kopfsteingepflasterte filmkulissenhafte Straße im Quartier Latin niemand beachtete Dich niemand hinderte Dich keiner fragte etwas die Stadt schien so ungeheuerlich gleichgültig und befreiend die Furcht und die Erregung hielten sich die Waage genau wie jetzt auf der Sixth Avenue
    nachdem Du
    fünf oder zehn Minuten gegangen warst
    vorbei an Buchläden Bistros Geschäften mit goldenen Bezeichnungen auf schwarzem oder rotem Grund
    fingst Du wieder an (nach Jahren) mit der arabischen Schwester zu sprechen die Du Dir einmal erfunden hattest und Du sahst sie ja auch hier in Paris an einem benachbarten Cafétisch im Freien es war eine orientalische Familie ein Vater und seine zwei Töchter vielmehr der Mann hatte einen schwarzen Schnurrbart eine hohe Stirn und gelichtetes Haar er wirkte sehr gütig aber auch mitgenommen erregt diskutierte er mit der älteren Tochter einer elegant und westlich gekleideten fast mannequinhaften jungen Frau die eine Zigarette zwischen den Fingern hielt und ihm heftig widersprach während die Jüngere
    ein Mädchen von elf oder zwölf Jahren
    betroffen und dann wieder abwesend aussah sie war etwas rundlich und untersetzt sehr zurückhaltend und auf eine unauffällige Art hübsch (so wie Du selbst vielleicht) aber auch irgendwie selbstbewusst Du verspürtest plötzlich eine soghafte Neugierde mehr über sie zu wissen und einmal trafen sich Eure Blicke
    Ihr erlittet einen seltsamen kleinen Schock der Euch gleichzeitig wortlos die Lippen öffnete
    was
    hättest Du sagen wollen oder sollen wie
    begrüßt man die scheinbare Widerspiegelung eines lange gehegten Tagtraums was stellte sie wohl dar in ihrem vollkommen undurchdringlichen Pariser Leben
    das Hotelzimmer
    in dem Du erwachst passt nicht zum Quartier Latin es ist das zweite Mal dass Du an diesem Morgen zu Dir kommst und mit dem Anblick einer maurischen

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