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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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Zierleiste an der Wand in Deckennähe fällt Dir ein dass Dich beim ersten Mal tatsächlich der Gebetsruf eines Muezzin aus dem Schlaf schreckte
    Du bist
    im Land (in einem der möglichen Länder) der arabischen Schwester kein Zweifel öffne die Vorhänge und der Blick stürzt ins Licht heller Beton vertrocknete Palmwedel staubige Autos arabische Neonschriften noch beleuchtet mit einem schwachen Glimmen wie unter Asche nachglühendes Feuer
    die rissigen Torsos die wie verbrannte und gesprungene tönerne Haut die mit steinernen Augen in Deine Zeit starrenden Köpfe
    gehörten zu den neolithischen Statuen im Museum auf dem Zitadellenhügel in Amman
    am gestrigen Nachmittag noch
    standest Du dort vor zwei mächtigen griechischen Säulen und hattest diesen cäsarischen Blick über die mit lehmgrauen und ockerfarbenen Häusern übersäten Hügel der Stadt futuristische Hochhäuser ragen aus einem Viertel hervor über einem anderen weht an einem aberwitzig hohen Fahnenmast die Nationalflagge auf den verbackenen Strukturen der Altstadthäuser schimmern die Wassertanks als wäre ein Schwarm flügelloser künstlicher Insekten oder eine Armee fröhlicher Roboter über die dürstende Stadt hergefallen und saugte das Wasser auf anstatt es zu spenden wie der in Sandstein verewigte Abdruck einer riesigen Muschelschale liegt das römische Theater am Anstieg des Jaufa-Hügels kein Zweifel
    Du warst hier in so vielen Zeiten und Fällen
    wie Du Dir vorstellen willst
    den Fahrstuhl zum Frühstücksraum verstopfen aufgeregte Pauschaltouristen die ihren Bus nicht versäumen dürfen also nimmst Du die Treppe
    Luisa sitzt bereits an dem Tisch neben einem Ziermäuerchen mit grünen Pflanzen sie braucht morgens sogleich ihren Tee sie winkt richtet sich auf als Du näher kommst nach der zweiten Nacht in Amman wirkt sie schon gut erholt mit ihrer braunen Haut den schwarzen Haaren und dunklen Augen könnte man sie mühelos als Araberin verkleiden denkst Du es ist der Süden die Wärme und die Sonne die sie so aufblühen lassen vielleicht sollten wir doch an eine kalifornische Universität wechseln
    alles scheint Dir auf eine beinahe peinliche oder unheimliche Art miteinander in Verbindung zu stehen während Du auf sie zugehst hat dies aber die Form eines wiederkehrenden Glücks Du spürst erneut die tiefe Erleichterung dass sie sich für Dich entschieden hat
    nur für eine Sekunde bevor Du Dich ebenfalls am Tisch niederlässt und Dir wie fast an jedem gemeinsamen Morgen das Sich-Gegenübersitzen wie ein perfektes Einrasten in einen idealen (dualen) Zustand erscheint wie etwas fast Technisches oder besser Chemisches vielleicht zwei Wasserstoff- oder Sauerstoffatome die gemeinsam einen energetisch günstigeren und stabilen Verbund eingehen trifft Dich der elektrischeSchlag einer überraschenden unangenehmen Feststellung weil Du erkennst
    dass der Tisch nur für zwei Personen gedeckt ist
    es ist unsinnig darüber zu erschrecken oder sich gar zu ärgern es
    distanziert Dich jedoch Du kannst nichts dagegen unternehmen zu entgleiten (wohin) und obwohl es doch großartig ist und auch ein verdientes weil durch Geständnisse Aufrichtigkeit und Konsequenz erworbenes (begünstigtes) Glück (das auf das Angebot einer einjährigen Gastprofessur in Tel Aviv mit einer gemeinsamen Reise nach Jordanien und Israel reagiert um sich darüber schlüssig zu werden ob man hier zu zweit ein Jahr verbringen möchte)
    musst Du den ganzen Tag um die Nähe zu diesem Paar ringen das Dir immer wieder in Staubwirbeln verlorengeht in Schleiern von Traurigkeit und Apathie (Körper denkst Du die sich an einem unsagbar weit entfernten Ort gegenseitig zerschlagen ohne deutliche Schmerzen zu empfinden bis sie den armlosen Statuen in jenem Museum auf dem Zitadellenhügel ähneln)
    Du siehst sie aus einem Taxi steigen und eine Art Fort oder kleine Burg besichtigen die direkt aus dem Himmel in eine kittfarbene Steinwüste gefallen ist
    sie stehen vor einem Käfig mit Straußen und werden dort von Souvenirhändlern bedrängt
    die Staubwolke verschluckt sie wieder ein aquäduktähnliches Bauwerk taucht in der nächsten helleren Phase auf und der hoch gewachsene fast magere ältere Mann mit der Brille und dem grauen Bürstenhaar sagt ein Wort zu der Frau mit Strohhut weißer Bluse und tintenblauer Hose das sie nicht gleich zu verstehen scheint aber dann sieht man sie lachen
    es folgen unscharf wiedergegebene Häuser auf den Hügeln und in den engen Gassen der Stadt ein wie auf einem

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