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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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zelluloidhaft
    selbst ihr Lärm wäre gleichsam durchsichtig nur noch gegenwärtig als Rauschen oder als eine Art akustischer Nebel in dem hin und wieder diffuse Stimmen flüstern oder Bruchstücke von Sätzen erscheinen
    Du gehst durch die Mauern wie durch Vorhänge die sich an jeder Stelle teilen lassen alles ist transparent schemenhaft und leicht wenn man auf diese Weise (aus diesem Abstand von 7000 Jahren)
    zurücksieht
    gibt es nichts Eindeutiges mehr aber es wird auch leichter sich etwas auszumalen etwas zu skizzieren zu einem Gemälde oder gar Film reicht die Kraft unmöglich aus (etwas Derartiges zu gestalten und zu ertragen)
    durchscheinend und folienhaft sind die Möglichkeiten die sich in der fließenden gläsernen Stadt ergeben das eine und einzige Leben wird zu einem Schwarm geisterhafter Existenzen es ist nur diese eigentümliche Farblosigkeit die Dich das denken lässt und die große Distanz in der nun alles geschieht (oder geschehen ist) denn es sind keine Fischleben es ist überhaupt nichts Kühles oder Gleichgültiges es ist eher so als hätte man eine Sicht auf
    anrührende höchst dramatische melancholische und herzzerreißende Szenen in Schwarzweißfilmen die niemals gedreht wurden
    die Möglichkeiten die Du hast wie Eintrittskarten in ganz verschiedene Handlungen und Genres
    Du rufst noch einmal Deine Mutter an und sie sagt Dir dass Du sofort zurückgehen und mit ihrem Mann (zweiten Ehemann) zu Abend essen sollst Du übernachtest in dessen Wohnung alles verläuft wie üblich und erwartungsgemäß und Du bist am nächsten Morgen um neun bei ihr im World-Trade-Center-Büro
    Du rufst niemanden an keinen Deiner Freunde weder Deinen Vater in Amherst noch Eric oder die Haushälterin Iris auf Long Island mit der Du über alles reden konntest Du bleibst einfach allein (fassungslos) und lässt Dich durch die Stadt treiben du siehst der Zeit zu die in ihr verstreicht bis es Nacht wird und früher Morgen es werden Mädchen in Parkanlagen ermordet unter Brücken in schäbigen Hotels oder sie werden angesprochen und in eigenartige vielleicht schreckliche vielleicht nur abstoßende und gewöhnliche gläserne durchsichtige nebulöse Angelegenheiten verwickelt es
    kann sein
    dass Du einen ganzen warmen Sommerabend lang auf einer Bank am East River sitzt (ein fragiles in sich versunkenes in ein Notizbuch schreibendes Mädchen) und dir nicht das Geringste geschieht
    Dein erster Reflex auf der Little Brazil Street als Dir Deine Einsamkeit plötzlich bewusst wird ist der Griff zum Telefon und Du wählst hintereinander alle Nummern von Studenten die hier leben und irgendwie (auf einer Party einer Uni-Veranstaltung etc) in Deinem Adressverzeichnis gelandet sind
    es meldet sich ein Junge der an der Columbia studiert und ein Studentenwohnheimzimmer hat er ist begeistert über Deinen Anruf er erinnert sich genau an ein Gespräch mit Dir das Dir ebenso lückenhaft und verschwommen im Gedächtnis ist wie der Junge selbst erst als Du ihm gegenüberstehst fällt er Dir wieder ein er ist ein Charmeur ein Tölpel ein eingebildeter Poet ein tumber Sportler ein Business-Streber ein
    sehr jovial und vernünftig tuender eher klein gewachsener aber sportlicher Typ mit hektischen roten Wangen und streichholzkurzen eingegelten Haaren stolz auf seine blendend weißen Zähne und den Pokalder letzten Triathlon- oder Florettfecht- oder Judo-Uni-Meisterschaft (Du siehst nicht so genau hin) jetzt ist er glücklich und verlegen zugleich denn er muss heute Abend unbedingt zu der Geburtstagsfeier seines besten Freundes dessen Eltern wirklich Kohle haben und ein überwältigendes Dachgeschoss auf der Upper-West-Side Du könntest doch einfach mitkommen (was Dir sehr recht ist) bei der Rückkehr oder auf der Party wird sich garantiert ein Zimmer im Wohnheim oder bei einem Bekannten finden lassen
    Du hältst bis drei oder vier Uhr auf der Party aus Du hast nichts bei diesem Jungen der Dich mitbrachte hinterlassen und kannst ihn einfach mit Hilfe Deines Durchhaltewillens abschütteln oder loswerden Du könntest dann ein Mädchen eine junge Frau in Deinem Alter ansprechen und mit ihr für eine Mütze Schlaf noch nachhause gehen (wäre das nicht die einfachste Lösung) Du könntest aber auch weiter durchhalten bis zum Sonnenaufgang und allein durch die Straßen gehen in irgendeinem Deli ein Frühstück nehmen oder eben
    doch den Jungen begleiten der natürlich nur sein eigenes Zimmer zu bieten hat in diesem Alter schläft man durchaus einmal

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