September. Fata Morgana
zu Faridas lässigen akkuraten Bewegungen wenn sie kocht
Zwiebeln Petersilie Minze Knoblauch hackend mit Blick auf das schattige Geviert des Innenhofs in dem sie ihre Zierpflanzen und Kräuter zieht
auf einer Kante des Tischs liegt ein Buch das sie gerade übersetzt sie steht oft ganz abrupt von ihrer Schreibtischarbeit auf und beginnt zu kochen das Kochen
bringt dich immer wieder zurück auf die Erde
eben dahin will ich wenigstens für einige Stunden auf die
Erde der Erde
denn schließlich ist der Major wirklich seine kräftige Hand am Hals meiner Schwester (und wenn sie das braucht sagt Huda
kichernd
in meinem Kopf) und meine ganze
rechthaberische Fantasie
erdrückt mich beschwert mich klagt mich an als hätte ich durch sie erzwungen erzwingen können was wirklich geschieht ich wollte es wäre
nichts
Faridas Küche
schneide Kürbisse knete Teig zupfe Blätter hacke Kräuter zerteile Fleisch wasche Reis und Bulgur koche Tee
so oft finde ich neben Farida wieder zurück
in die Familie
in der Küche treffen wir uns wie an einem wirklicheren Ort selbst Tarik fällt ganz automatisch in den Rhythmus der Frauen schneidet Gurken Tomaten Auberginen Kohlblätter mit seinem Lieblingsmesser das er abwechselnd Die Machete oder Das Skalpell nennt und selbst Sami tut in der Küche was man ihm aufträgt ohne zu murren wenn auch ungeschickt und sehr schläfrig im Vergleich zu dem was seine Finger auf einer Computertastatur bewerkstelligen können rühre die Harisse dabei kannst du programmieren sagt Farida lachend
Yiom was kochen wir Yiom
das Kochen ist immer eine Rettung ein Anker für das irre fantastische Schiff
Kardamom Pfeffer Koriander Cumin
es gibt immer weniger Fleisch und Fisch aber Farida kennt auch so genügend Rezepte heute etwa ist es ein Auberginenauflauf mach einen Orangensalat dazu wie du es von Tante Nawal kennst und während ich drei Orangen schäle und in dünne Scheiben schneide rote Zwiebeln häute und in feine Ringe zerlege schwarze Oliven darübergebe Minzeblätter zupfe und Öl in das ich einen Teelöffel Cumin gerührt habe (kam Salz dazu?) kann ich mich wieder einmal fragen welche Mutter ich lieber hätte eine die erfolgreich mit den Wölfen spielt oder diese ruhige weiche blasse Frau in dem grünen von einer Goldlitze gesäumten Hauskleid die einmal Lehrerin war bis alle Lehrer in der Partei sein mussten die einmal für einen großen Verlag Romane übersetzte bis fast nichts mehr übersetzt werden durfte die sich ganz auf die Familie die Verwandten die Küche und die Bücher zurückgezogen hat
und doch
das ist was bleibt denke ich immer und es scheint mir oft dass Farida das ähnlich sieht und dass sie daher ihre Kraft nimmt und den Stolz sie hat nichts Eingeschüchtertes an sich obwohl sie doch geschlagen ist und begrenzt auf das alte Haus in Betawiyn und die Häuser der Nachbarschaft nur selten besuchen Tarik und sie noch alte Freunde (sofern diese noch in Bagdad wohnen und nicht in Amman Beirut London Berlin Köln)
einmal kämpfte mein Vater mit Jasmin
in Paris
ich habe es bemerkt aber nicht verstanden ich war erst elf
was soll ich dieses Krankenpflegebuch noch weiter übersetzen fragt Farida wenn es die Hälfte der Medikamente und Pflegemittel überhaupt nicht mehr gibt God bless America
was macht Huda fragt Tarik die lustige Haddawi mit ihrer Super-Mutter dem achtsprachigen Weib mit vier Zungen und sechs Armen wusstest du dass sie vergangenen Monat in Uruk das Skelett eines königlichen Menschenaffen gefunden haben der bei der Rekonstruktion mit Knetmasse genauso aussah wie Saddam
er spürt
den Schatten
der auf mir liegt weil ich von meiner Schwester geträumt habe aber was
weiß ich schon
ich spüle Geschirr mit Farida während Sami in seinem Zimmer genau über uns mit Microsoft dahinfliegt wie
ein Fliege im Glas (die falschen Flugzeuge die verzweifelt von innen gegen die Glasscheibe des Monitors anstürmen)
Tarik will einen Dichterfreund auswärts treffen und verschwindet nach dem Kaffee
wir lesen ich muss nicht fürchten dass Farida plötzlich auf Jasmin zu sprechen kommt zwischen Farida und Jasmin scheint es kaum mehr ein Band zu geben es fällt so selten noch ein Wort über meine große Schwester die noch alles tun konnte wovon mir nur zu träumen bleibt die nun auch noch meine Alpträume für sich reklamiert
nachts
winkt mir der kleine Achmed von gegenüber zu (doch noch dankbar) er sitzt auf seinem Bett wie ein struppiges kleines Gespenst in seinem hellen
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