September. Fata Morgana
bronzenen John Harvard (wie alle Glück wünschend das es nicht gäbe hätten es alle) wir sehen kurz in den fantastischen Lesesaal der Widener Library hinein und stehen vor der Gedenk-Nische den frischen Blumen dem Ölgemälde des ehemaligen Studenten dessen Mutter die Bibliothek stiftete nachdem er beim Untergang der Titanic ums Leben gekommen war
er soll
erklärt uns Judith eine sechzigjährige Kollegin die hier Germanistik lehrt und wie durch Zauberhand erscheint
verbotenerweise Bücher der Harvard-Bibliothek mit auf den Ozeanriesen genommen haben
Judith glaubt natürlich Sabrina beginne hier das Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft in Harvard aber dann bewundert sie Sabrina ausdrücklich für die Earth Sciences am MIT und erzählt die Geschichte vom ewigen Speiseeis das es auf Anordnung der Mutter von Harry Elkins Widener in der Mensa immer geben müsse (da es sein Lieblingsdessert gewesen sei)
welcher Nachtisch für brennende Türme für die Titanic der Luft anstelle einer Bibliothek wenigstens ein Buch
neben ihrer Mutter
wirkt Sabrina nicht mehr so zerbrechlich sondern kindlich robust und auch etwas trotzig ein Reflex darauf dass Amanda in Jeans und legerer Sommerbluse ihre eigene Collegegirl-Vergangenheit zitiert (dabei ist sie auf jene irritierende Weise mager und sehnig geworden die blonden Frauen ihres Alters etwas Scharfkantiges fast Schneidendes gibt)
schweigend
neben Seymour deVries auf dem Beifahrersitz eines großen fetten dennoch irgendwie hybrid oder sonst wie energiesparend betriebenen Riesen-Rangers oder Monster-Rovers zu sitzen
während meine Ex-Frau und meine Tochter sich auf der Rückbank aufgekratzt immer vergnügter fast schon hysterisch laut unterhielten
war nicht weiter schlimm (bloßer Auftakt der Mutprobe)
wir segelten wie auf einer Yacht im Strom kleinerer Boote über dieHarvard-Bridge auf die Commonwealth Avenue und wieder zurück über die Longfellow-Bridge weil Seymour auf der Suche nach einem legendären Restaurant sich verfuhr oder es genoss uns ausführlich durch seine Geburtsstadt zu chauffieren uns gleich dreimal über den Charles River schweben zu lassen so dass wir die glitzernde kühle komprimierte Business-Energie der Stadt spüren konnten ihre gemäßigte Hektik die Coolness eines bulligen athletischen aber gepflegten Bankers in kurzem weißen Hemd oder einer von ihren Buchführungstabellen nicht völlig unverführerisch aufblickenden nadelgestreiften Lady (matronenhaft aber fest) zu viele Fernsehfilme selbst in meinem Kopf es waren nur der Fluss die Parkstreifen an den Ufern die Hochhäuser der Back Bay
Sabrina (ihre kühle weiche Hand die sie auf meine Schulter legte so dass sie leicht meine Halsseite berührte so oft auf diese Weise so beiläufig) erinnerte mich daran dass wir sechs Wochen zuvor erst
von Europa her kommend
hier gelandet waren
letzte Sicht auf den Fluss dann Autobahnschleifen dieses Mal die richtige Ausfahrt und bald darauf die vornehme britische Kleinstadtwelt von Beacon Hill durch die uns Seymour zu Fuß führte (nachdem er seinen Straßenpanzer mit Hilfe piepsender Kleincomputer und denkender Minikameras hatte einparken können) das ist sterbenslangweilig hier sagte Sabrina so superenglisch was für ein Kitsch
wärst du je in ein Neu-Deutschland gezogen fragte Amanda plötzlich und ich sagte natürlich nicht schließlich seien wir doch dort gewesen als Sabrina sechs Jahre alt war am Kontrollpunkt Friedrichstraße im Tränenpalast als wir nicht wussten ob wir uns in a) Deutscher mit Green Card b) US-Bürgerin und c) Sabrina trennen mussten ob ich immer noch so sehr den Wald liebe (in den sie mich doch geführt hatte
behalt es für dich)
wie Thoreau
sagte Seymour ich habe ihn nie unsympathisch gefunden er ist kein Bostoner Brahmin und auch kein Nachfahre der irischen Einwanderer (die ehemaligen Underdogs die schon längst in der Stadt den Ton angeben) seine Eltern sind aus Rotterdam geflohen kurz bevor die deutsche Luftwaffe die Stadt bombardierte ihr das Zentrum das Herz herausriss er erinnert (blond sommersprossig blauäugig) an einen Holländer (oderHamburger oder Stockholmer) Seymour ist unser Ölmann obwohl er etwas angenehm Trockenes an sich hat eben jene Yachthafen-Noblesse die ich immer an Amanda bewunderte es wäre leichter wenn man seinen erfolgreichen Nebenbuhler einfach nur hassen und meiden könnte es bliebe einem diese bedrückende Affinität und Nähe zu den Liebeswahlen des ehemaligen Partners erspart
man
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