Septimus Heap 01 - Magyk
an so einem Tag draußen verloren habt.«
»Ach?« Silas wollte möglichst schnell an Gringe vorbei, aber zuerst musste er das Brückengeld bezahlen. Er fasste in die Hosentasche und drückte dem Wärter einen Silberpenny in die Hand.
»Vielen Dank, Gringe. Gute Nacht.«
Gringe beäugte den Penny wie einen ekligen Käfer. »Marcia Overstrand hat vorhin eine halbe Krone springen lassen. Aber die hat eben Klasse, jetzt, wo sie Außergewöhnliche Zauberin ist.«
»Was?« Silas blieb fast die Luft weg.
»Jawohl, Klasse hat sie.«
Gringe trat beiseite, um Platz zu machen, und Silas schlüpfte vorbei. Am liebsten hätte er gefragt, wieso Marcia Overstrand plötzlich Außergewöhnliche Zauberin war, doch das Bündel unter seinem warmen Umhang begann sich zu regen, und eine innere Stimme sagte ihm, dass es besser war, wenn Gringe nichts von dem Kind erfuhr.
Als er in den Tunnel einbog, der zu den Anwanden führte, trat eine hohe, in Lila gekleidete Gestalt aus dem Dunkel und versperrte ihm den Weg.
»Marcia!«, stieß er hervor. »Was um alles in der ...«
»Erzähle keiner Menschenseele, dass du sie gefunden hast. Sie ist deine leibliche Tochter. Verstanden?«
Silas nickte verdutzt, und bevor er dazu kam, etwas zu sagen, war Marcia in einer schimmernden lila Wolke verschwunden. Völlig verdattert legte Silas den restlichen Weg durch die Ramblings zurück. Wer war dieses Kind? Was hatte Marcia mit ihm zu tun? Wieso war Marcia plötzlich Außergewöhnliche Zauberin? Und als die große rote Tür vor ihm auftauchte, die in das bereits überfüllte Zimmer der Familie Heap führte, kam ihm eine weitere, dringlichere Frage in den Sinn: Was würde Sarah dazu sagen, dass sie noch ein Kind versorgen sollte?
Silas blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. In dem Augenblick, als er die Tür erreichte, flog sie auf. Eine dicke Frau in der dunkelblauen Tracht einer Oberhebamme stürmte heraus und rannte ihn beinahe über den Haufen. Auch sie trug ein Bündel, nur war ihr Bündel von oben bis unten in Binden gewickelt, und sie trug es unter dem Arm wie ein Paket, das sie schleunigst zur Post bringen musste.
»Tot!«, krächzte die Oberhebamme mit rotem Kopf. Sie stieß Silas zur Seite und lief den Korridor hinunter. Im Zimmer schrie Sarah.
Beklommenen Herzens ging Silas hinein. Sarah lag im Bett, umringt von sechs kleinen Jungen, alle kreidebleich und verstört.
»Sie hat ihn mitgenommen«, rief Sarah verzweifelt. »Septimus ist tot, und sie hat ihn mitgenommen.«
In diesem Augenblick breitete sich von dem Bündel, das Silas noch unter seinem Umhang versteckt hielt, eine feuchte Wärme aus. Er wollte etwas sagen, doch er fand nicht die richtigen Worte, und so zog er einfach das Bündel unter dem Umhang hervor und legte es Sarah in die Arme.
Sarah Heap brach in Tränen aus.
* 2 *
2. Sarah und Silas
D a s Findelkind wurde in die Familie Heap aufgenommen und nach Silas’ Mutter Jenna genannt. Nicko, der jüngste Sohn, war erst zwei, als Jenna zu ihnen kam, und hatte seinen Bruder Septimus bald vergessen. Auch die älteren Brüder vergaßen ihn mit der Zeit. Sie liebten ihre kleine Schwester und brachten vom Zauberunterricht in der Schule allerlei Schätze für sie mit.
Sarah und Silas konnten Septimus natürlich nicht vergessen. Silas machte sich Vorwürfe, weil er Sarah allein gelassen hatte, um von der Medizinfrau Kräuter für das Neugeborene zu holen. Sarah wiederum gab sich an allem die Schuld. Sie hatte nur verschwommene Erinnerungen an jenen schrecklichen Tag, aber sie wusste noch, dass sie vergeblich versucht hatte, ihrem Kind wieder Leben einzuhauchen. Und sie wusste noch, wie die Oberhebamme ihren kleinen Septimus von Kopf bis Fuß in Binden gewickelt hatte, dann zur Tür gestürmt war und über die Schulter gerufen hatte: »Tot!«
Daran erinnerte sie sich genau.
Bald jedoch liebte Sarah ihr kleines Mädchen ebenso sehr, wie sie ihren Septimus geliebt hatte. Eine Zeit lang fürchtete sie, es könnte jemand kommen und ihr auch Jenna wegnehmen, doch Monate gingen ins Land, und Jenna wuchs zu einem pausbäckigen, glucksenden Baby heran, und Sarah wurde ruhiger und vergaß ihre Angst beinahe.
Bis zu jenem Tag, an dem Sally Mullin, ihre beste Freundin, atemlos in der Tür stand. Sally Mullin gehörte zu jenen Menschen, die immer wussten, was in der Burg gerade geschah. Sie war eine kleine geschäftige Frau mit rotbraunem strähnigem Haar, das ständig unter ihrer etwas schmuddligen Kochmütze hervorquoll. Sie
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