Septimus Heap 01 - Magyk
Blättern geschmückt. Davor auf dem Tisch lag, liebevoll in buntes Papier eingeschlagen und mit einem roten Band verschnürt, ein kleines Geschenk für Jenna zu ihrem zehnten Geburtstag.
In diesen letzten Nachtstunden blieb alles still, und die Familie Heap schlief friedlich weiter, bis am Morgen die Wintersonne aufgehen sollte.
Am anderen Ende der Burg, im Palast der Wächter, schlief niemand mehr, ob friedlich oder nicht.
Der Oberste Wächter war aus dem Bett geholt worden und hatte mithilfe des Nachtdieners bereits seine schwarze, pelzbesetzte Uniform und seinen schweren, schwarz-goldenen Mantel angelegt. Nun wies er den Nachtdiener an, wie er seine bestickten Seidenschuhe zu schnüren hatte, und setzte sich behutsam eine schöne Krone auf. Der Oberste Wächter zeigte sich nie ohne diese Krone, die seit jenem Tag, als sie der Königin vom Kopf gefallen und scheppernd auf den Steinfliesen aufgeschlagen war, eine Delle hatte. Sie saß schief auf seinem leicht spitz zulaufenden, kahlen Schädel, doch der Nachtdiener, der noch neu und furchtsam war, scheute sich, es ihm zu sagen.
Mit raschen Schritten durchmaß der Oberste Wächter den Korridor zum Thronsaal. Er war ein kleiner, rattenähnlicher Mann mit blassen, beinahe farblosen Augen und einem kunstvollen Ziegenbart, dessen Pflege ihm zur lieben Gewohnheit geworden war und Stunden in Anspruch nahm. Er versank beinahe in seinem weiten, schwer mit militärischen Orden behangenen Mantel, und die schief sitzende und etwas weiblich wirkende Krone verlieh seiner Erscheinung etwas Lächerliches. Aber hättet ihr, liebe Leser, ihn an jenem Morgen gesehen, ihr hättet nicht gelacht. Ihr hättet euch in eine dunkle Ecke verkrochen und gehofft, er würde euch nicht bemerken, denn der Oberste Wächter machte ein bedrohliches Gesicht.
Der Nachtdiener half ihm, auf dem reich verzierten Thron Platz zu nehmen. Dann wurde er mit ungeduldiger Geste weggeschickt. Dankbar huschte er aus dem Thronsaal, denn seine Schicht ging bald zu Ende.
Im Thronsaal war es morgendlich kühl. Der Oberste Wächter saß mit unbewegter Miene auf dem Thron, doch seine kurzen hastigen Atemstöße sandten Dampfwolken in die kalte Luft und verrieten seine Erregung.
Er brauchte nicht lange zu warten, bis eiligen Schrittes eine groß gewachsene junge Frau eintrat, die den schmucklosen schwarzen Umhang und die dunkelrote Uniform einer Meuchelmörderin trug. Sie verbeugte sich so tief, dass ihre langen Schlitzärmel den Fußboden streiften.
»Euer Gnaden«, sagte sie mit leiser Stimme, »das Königsbalg ist gefunden.«
Der Oberste Wächter setzte sich auf und musterte die Mörderin mit seinen blassen Augen.
»Bist du sicher?«, fragte er mit drohendem Ton. »Diesmal darf kein Fehler passieren.«
»Unsere Spionin hatte schon seit langem ein Kind im Verdacht, Euer Gnaden. Sie hält es für eine Fremde in seiner Familie. Gestern nun hat unsere Spionin herausgefunden, dass das Kind das richtige Alter hat.«
»Wie alt ist es genau?«
»Auf den Tag genau zehn Jahre alt, Euer Gnaden.«
»Tatsächlich?« Der Oberste Wächter lehnte sich im Thron zurück und sann über den Bericht der Mörderin nach.
»Ich habe ein Bild des Kindes, Euer Gnaden. Es soll seiner Mutter, der früheren Königin, sehr ähnlich sehen.« Die Mörderin zog ein Blatt Papier aus der Uniformjacke. Es war die von kundiger Hand angefertigte Zeichnung eines jungen Mädchens mit dunkelvioletten Augen und langen dunklen Haaren. Der Oberste Wächter nahm die Zeichnung. Es stimmte. Das Mädchen sah der toten Königin tatsächlich sehr ähnlich. Er fasste einen raschen Entschluss und schnippte mit seinen knochigen Fingern.
Die Mörderin neigte den Kopf. »Euer Gnaden?«
»Heute Nacht. Um Mitternacht suchst du ... wo ist es?«
»Raum 16, Korridor 223, Euer Gnaden.«
»Familiename?«
»Heap, Euer Gnaden.«
»Aha. Nimm die Silberpistole. Wie viele Mitglieder zählt die Familie?«
»Neun, Euer Gnaden, das Kind mitgerechnet.«
»Also neun Kugeln, falls sie Schwierigkeiten machen. Eine silberne für das Kind. Und bring es zu mir. Ich möchte einen Beweis.«
Die junge Frau war erbleicht. Es war ihre erste und einzige Bewährungsprobe. Meuchelmörder bekamen keine zweite Chance.
»Zu Befehl, Euer Gnaden.« Sie verneigte sich kurz und entfernte sich mit zitternden Händen.
In einer ruhigen Ecke des Thronsaals erhob sich der Geist Alther Mellas von der kalten Steinbank, auf der er gesessen hatte. Er stöhnte und reckte seine alten
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