Septimus Heap 01 - Magyk
Geisterglieder, dann raffte er seinen verschossenen lila Umhang, schnaufte kräftig durch und spazierte durch die dicke Mauer des Thronsaals.
Draußen fand er sich, zwanzig Meter über dem Boden schwebend, in der kalten Morgenluft wieder. Statt sich gemessenen Schrittes zu entfernen, wie es sich für einen Geist seines Alters und Rangs eigentlich ziemte, breitete er die Arme wie Flügel aus und segelte elegant durch den rieselnden Schnee.
Fliegen war so ziemlich das Einzige, was Alther am Geisterdasein gefiel. Seit er ein Geist war, hatte er seine lähmende Höhenangst verloren und viele aufregende Stunden damit zugebracht, an seinen akrobatischen Flugkunststücken zu feilen. Sonst aber bot das Dasein als Geist nur wenig Annehmlichkeiten, und in dem Thronsaal zu sitzen, in dem er einer geworden war – und in dem er nach seinem Ableben deshalb ein ganzes Jahr und einen Tag hatte verbringen müssen –, gehörte zu den unerquicklichsten Seiten. Doch es musste sein. Im Thronsaal erfuhr Alther, was die Wächter im Schilde führten, sodass er Marcia über ihre Pläne auf dem Laufenden halten konnte. Mit seiner Hilfe war es ihr gelungen, den Wächtern stets einen Schritt voraus zu sein und Jenna zu beschützen. Bis jetzt.
Aus seinem Versteck oben in den fernen Ödlanden hatte DomDaniel nach Jenna gefahndet, seit sein erster Meuchelmörder vor zehn Jahren nur halbe Arbeit geleistet hatte. Nach der Ermordung der Königin hatte er seinen Abgesandten, den Obersten Wächter, zusammen mit seinen Gefolgsleuten, den Wächtern, und einer Armee von Gardewächtern losgeschickt, um die Burg einzunehmen und die junge Prinzessin oder das Königsbalg, wie er sie verächtlich nannte, zur Strecke zu bringen. Es waren für ihn zehn lange und enttäuschende Jahre gewesen, denn Alther Mella hatte alle Versuche, die Prinzessin zu finden, vereitelt.
DomDaniel war freilich ahnungslos, dass sein einstiger Lehrling immer noch eifrig damit beschäftigt war, seine Pläne zu durchkreuzen. Wegen seiner Verbindung zu den dunklen Mächten konnte er keinen von den Geistern in der Burg sehen, daher wusste er nicht, dass sie und Alther überhaupt existierten. Er gab dieser Nervensäge Marcia Overstrand die Schuld daran, dass er die Prinzessin nicht finden konnte, und seine Ungeduld wuchs. Doch ohne dass er es ahnte, war ihm unlängst ein glücklicher Zufall zu Hilfe gekommen.
Nach der Einnahme der Burg hatte der Oberste Wächter als eine seiner ersten Maßnahmen alle Frauen aus dem Gerichtsgebäude verbannt und die Damentoilette, die nun nicht mehr gebraucht wurde, zum Besprechungsraum umfunktioniert. Letzten Monat war es bitterkalt gewesen. Durch den höhlenartigen Sitzungssaal pfiff ein kalter Wind und verwandelte die Füße in Eiszapfen. Deshalb hatte der Wächterrat seine Beratungen in die ehemalige Damentoilette verlegt, die den großen Vorteil hatte, dass ein Holzofen darin stand.
Und so kam es, dass die Wächter, ohne es zu ahnen, zur Abwechslung mal Alther Mella einen Schritt voraus waren. Als Geist konnte er nur Orte aufsuchen, an denen er zu seinen Lebzeiten gewesen war, und als wohlerzogener junger Zauberer hatte er selbstverständlich niemals einen Fuß in eine Damentoilette gesetzt. Das Einzige, was er tun konnte, war, sich draußen herumzudrücken und zu warten, so wie er es damals getan hatte, als er noch lebte und der Richterin Alice Nettles den Hof machte.
An einem besonders kalten Spätnachmittag ein paar Wochen zuvor hatte er zum ersten Mal beobachtet, wie die Mitglieder des Wächterrats in die Damentoilette umzogen. Die schwere Tür, auf der noch in verblichenen goldenen Lettern DAMEN stand, schlug hinter ihnen zu, und er schwebte draußen und horchte angestrengt an der Tür. Doch es war verlorene Mühe. Er hörte nicht, wie der Rat beschloss, seine allerbeste Spionin, eine gewisse Linda Lane, die Kräuterheilkunde als Hobby betrieb, in Zimmer 17, Korridor 223, einzuquartieren. Gleich neben den Heaps.
Daher ahnten weder Alther noch die Heaps nicht im Geringsten, dass ihre neue Nachbarin eine Spionin war. Und eine sehr gute obendrein.
Als Alther Mella jetzt durch die Winternacht flog und darüber nachsann, wie er die Prinzessin retten konnte, drehte er gedankenverloren zwei nahezu perfekte Doppelloopings, ehe er im Sturzflug durch das Schneetreiben düste und die goldene Pyramide ansteuerte, die den Zauberturm bekrönte.
Er landete elegant auf den Füßen und verharrte einen Augenblick im perfekten Gleichgewicht auf den
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