Serafinas später Sieg
damit ich dich hole!« Sie wischte sich das schweißglänzende Gesicht mit ihrem Taschentuch ab und versuchte, ihren verrutschten Schleier wieder ordnungsgemäß zu befestigen. Schwester Esmeralda machte stets den Eindruck, sich in einem Zustand hektischer Verwirrung zu befinden, aber sie war ein Schatz. Sie war es auch gewesen, die Maria auf, dem heimlichen Ausflug zu den Docks begleitet hatte. »Du mußt dich beeilen!« drängte sie. »Man läßt Besuch nicht warten.«
Maria fand zwar nichts dabei, Besuch warten zulassen, tat ihrer Freundin jedoch den Gefallen und raffte die Röcke. Eine Nonnenstimme rief: »Gehen, mein Kind – nicht rennen!«, und sie drosselte gehorsam ihr Tempo.
In dem Dämmerlicht des kleinen Zimmers neben dem Eingang nahm Maria als erstes Schwester Bonaventuras finsteres Gesicht wahr und dann einen jungen Mann, der einen Hut in der Hand hielt. Außer dem klosterüblichen Geruch von Seife und Weihrauch stieg ihr der Duft von Rosenwasser in die Nase – und Seide raschelte.
»Mama!« rief Maria und fiel ihrer Mutter um den Hals.
Es gelang Constanza, Schwester Bonaventura die Andeutung eines Lächelns zu entlocken, indem sie ihr Kerzen für die Sakristei versprach. Danach ließ die Nonne die Besucher mit dem Zögling allein.
Als Constanza wieder zu Atem gekommen war und die Tränen weggeblinzelt hatte, stellte sie ihrer Tochter, die sie seit achtzehn Monaten nicht gesehen hatte, ihren Begleiter, Thomas Marlowe, vor. Dann trat sie, Marias Hände in den ihren, einen Schritt zurück und musterte das geliebte Gesicht ausführlich, um es sich für die langen Monate der Trennung einzuprägen, die diesem Treffen folgen würden.
Maria, deren braune Locken und Züge weder Constanzas noch denen eines der Männer ähnelten, an die sie sich erinnern konnte, war kein Kind mehr. Sie war jetzt sechzehn, fast so groß wie ihre Mutter und hatte eine Figur bekommen, die nicht einmal das formlose Klostergewand verbergen konnte. Doch ihre Figur war das einzige, was an ihr erwachsen wirkte. Mit einem Lächeln registrierte Constanza, daß ihre Tochter sich in einiger Hinsicht kein bißchen verändert hatte: Trotz einer Unmenge Haarnadeln wirkte ihre Frisur, als käme das Mädchen gerade aus dem Bett, die Finger, die Constanza sich jetzt ansah, waren schmutzig, die Nägel schwarz – und dann war da noch dieser seltsame Zettel, der an ihrer Brust steckte. Die Schrift darauf war nicht zu entziffern.
»Da steht: ›Ich habe in der Stickstunde geschwätzt‹«, beantwortete Maria die unausgesprochene Frage ihrer Mutter. »Wir sollten französische Knoten machen, und es wollte mir einfach nicht gelingen. Und da habe ich meinem Ärger eben Luft gemacht.« Ihr entwaffnendes Lächeln erhellte den düsteren Raum wie ein Sonnenstrahl, der durch dunkle Wolken bricht. Constanza wußte, daß ihre Tochter, sollte sie sie mit in ihre Welt hinausnehmen, mit diesem Lächeln innerhalb einer Woche verloren wäre. Die Geier würden sich ihrer bemächtigen, ihr das junge, feste Fleisch von den Knochen reißen und tiefe Elendsfalten in dieses unschuldige, glatte Gesicht graben.
»Die Stickstunde ist vorbei«, erklärte Constanza resolut. »Und deshalb wird Schwester Bonaventura wohl nichts dagegen haben, wenn ich den Zettel jetzt entferne.« Damit zog sie die Nadel heraus – und entdeckte die schwarzen Flecken! Es sah aus, als habe ihre Tochter versucht, Tintenkleckse aus dem Stoff zu entfernen.
»Das ist Kahveh, Mama.« Marias grün und braun gesprenkelte Augen blickten die Mutter treuherzig an. »Ich versuchte, ein Getränk aus den Bohnen zu machen und verschüttete es. Aber es schmeckte sowieso scheußlich«, fügte sie hinzu, als rechtfertige das ihre Ungeschicklichkeit.
Constanzas Verständnislosigkeit mußte sich auf ihrem Gesicht gezeigt haben, denn Thomas fühlte sich bemüßigt zu erklären: »Kahveh wird aus gerösteten Bohnen gewonnen. Die Türken trinken das Gebräu mit Begeisterung. Wo, um Himmels willen, haben Sie denn Kahvehbohnen herbekommen, Signorina?«
Wieder dieses Lächeln. »Ein Mann hat sie mir geschenkt. Auf den Docks.«
»Auf den Docks?« Constanza war entsetzt.
Maria drückte beruhigend ihren Arm. »Sei unbesorgt, Mama – Schwester Esmeralda hat mich begleitet. Sie ist Novizin, weißt du, und sie vermißt ihre Mutter sehr, und deshalb gehen wir manchmal zum Hafen und schauen uns die Schiffe an. Schwester Esmeralda ist aus Venedig, und wenn sie ein venezianisches Schiff sieht, ist ihr Heimweh nicht
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