Serafinas später Sieg
das zu führen nur die Schiffe der Handelsgesellschaft das Recht hatten, flatterte ein Seeungeheuer von der Mastspitze, doch jetzt herrschte Flaute, und die Flagge hing schlaff herab. John Keane entließ die erschöpfte Mannschaft in den wohlverdienten Landurlaub. Er selbst blieb an Bord.
Er war Mitte Dreißig – ein hochgewachsener Mann mit einem freundlichen Gesicht. Das glatte braune Haar wurde an den Schläfen bereits dünn und grau. Seine kurzsichtigen Augen waren blaugrau und von einem Netz feiner Falten umgeben, sein Teint hatte nach der Seereise von London einen rötlich ockerfarbenen Ton.
John Keane brauchte eine Stunde, um zu dem Schluß zu kommen, daß die Garland , obwohl reichlich ramponiert, soweit instand gesetzt werden könnte, um ihre Fahrt in absehbarer Zeit fortzusetzen. Während er die zerfetzten Segel und gebrochenen Sparren begutachtete, rief er sich das Unwetter ins Gedächtnis zurück, dessen Spielball das Schiff im Tyrrhenischen Meer gewesen war. Sie wurden vom Konvoi getrennt, und John fürchtete schon, er würde das Schiff verlieren – doch am Ende hatten er und seine Mannschaft triumphiert und die Ladung, die aus Stoffen, Zinn und Yarmouth-Heringen bestand, unbeschädigt nach Livorno gebracht. Der Konvoi war nach Aleppo unterwegs gewesen. Briefe mußten geschrieben, Erklärungen abgegeben werden.
Mr. Keane stand bereits mehr als zehn Jahre in den Diensten der Levant Company – seit Königin Elizabeth der Gesellschaft die königliche Handelsgenehmigung erteilt hatte. Seitdem segelten Schiffe unter den Insignien des englischen Königshauses nach Scanderoon, Smyrna und zur Hohen Pforte, dem Regierungssitz des osmanischen Herrschers. Es waren aufregende und erfolgreiche Jahre gewesen – und gefährliche, denn die im Mittelmeerraum etablierten Mächte waren mit dem Eindringen Englands nicht einverstanden. Frankreich – bisher der einzige Verbündete des Islam in der christlichen Welt – hatte Schwierigkeiten gemacht, wo immer möglich. Venedig, dessen Macht seit zehn Jahren darniederlag, sah die englischen Handelsschiffe als ein weiteres Hindernis für seinen Gesundungsprozeß und die Wiederherstellung seines einstigen Ruhmes. Spanien, das noch immer unter der Niederlage seiner Armada litt, begrüßte jede Art von Vergeltung.
Die toskanische Hafenstadt Livorno war eine günstig gelegene und preiswerte Zwischenstation auf dem Weg in die Levante. In Livorno verkauften die Engländer Kerseys und Weißwäsche und kauften Rohseide und Brokat. Es wurde auch noch mit anderem gehandelt – mit Diebesgut und Sklaven –, und man traf in steigendem Maße kleinere und größere Gauner in der Stadt an. John Keane kannte Livorno beinahe so gut wie seine Geburtsstadt Rotherhithe. Er blieb schon lange nicht mehr stehen, um den Damen nachzuschauen, die auf ihren hölzernen Plateauschuhen vorbeitrippelten, oder den zwielichtigen Herren, an deren Arm grellgeschminkte Damen hingen. Er kannte Livorno als das, was es war: ein brodelnder Schmelztiegel, Treffpunkt für Händler aus allen Ecken des Mittelmeerraumes. Die Liegegebühren und Lagerkosten waren erfreulich niedrig, und von Genua bis Lucca gab es genügend Möglichkeiten, Ladung zu bekommen. Man konnte auch mit Spanien und der Provence Geschäfte machen. Die einzigen, mit denen Handel zu treiben sich nicht empfahl, waren die Berber-Piraten. Engländer, die dies taten, fanden sich, wenn es herauskam, unversehens am Ruder einer Medici-Galeere wieder.
John Keane, der eine Vorliebe für Schach und Lautenspiel hegte und eine etwas unbefriedigende Beziehung zu einer Lady in London unterhielt, wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen.
»Ich kann Ihnen einen guten Zimmerer nennen«, rief eine Stimme vom Dock herauf. Sie sprach englisch und klang freundlich – und jung. Als John Keane sich über die Reling beugte, sah er einen kräftig gebauten Mann unten stehen, auf dessen dunklen Locken ein Hut aus spanischem Filz saß.
»Ich habe keinen Mangel an Zimmerern«, antwortete er und lehnte sich über das Geländer. »Aber ich danke Ihnen für das Angebot, Mr. …?«
»Marlowe. Thomas Marlowe.« Der dunkelhaarige Mann riß den Hut vom Kopf und verbeugte sich. »Erinnern Sie sich nicht mehr an mich, Mr. Keane?«
John Keane, dessen Kurzsichtigkeit manche über seine geistige Scharfsichtigkeit täuschte, kniff die Augen zusammen.
»Die Flying Heart «, rief Thomas. »Die Michael – und die arme Toby .«
Der Kapitän der Garland kniff die Augen noch
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