Serafinas später Sieg
die Luft wie ein Messer, und die blasse Haut ihres Vaters wurde mit einem Muster aus Kreuzen überzogen. Serafina konnte nicht sprechen, sich nicht rühren – sie saß einfach nur in namenlosem Entsetzen da.
Aber heute nacht war der Traum ein wenig anders. Als der Soldat sich ihr, die Peitsche zum nächsten Schlag erhoben, zuwandte, sah Serafina sein Gesicht. Es war das von Angelo! Die mandelförmigen Augen glitzerten bösartig, und ein kleines, grausames Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Sie konnte nicht schreien, sich nicht bewegen, nicht atmen. Als sie schließlich aufwachte, stellte sie fest, daß sie trotz der Kühle der Nacht schweißgebadet war. Sie setzte sich auf und tastete mit zitternden Fingern nach dem Zunder. Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Kerze brannte, und solange es dunkel war, erwartete sie immer noch, Angelo in einem purpurroten Gewand und mit einem bösen Lächeln in den schönen Augen neben ihrem Bett stehen zu sehen.
Als es hell wurde, zwang sie sich, im Zimmer umherzuschauen. Es sah aus wie immer. Die inzwischen vertraute Umgebung – die schweren Vorhänge und der schmale Schrank, der ihre wenigen Kleider enthielt – beruhigte sie etwas. Der Schweiß auf ihrer Haut war getrocknet, und sie begann zu frieren. Mit zittrigen Knien stieg sie aus dem hohen Bett, wickelte sich in die Decke und trat ans Fenster.
Der Himmel hatte sich aufgeklärt. In der Ferne sah sie die Kathedrale. Ihr Herz schlug nicht mehr so rasend. Doch sie hatte immer noch deutlich Angelos Gesicht vor Augen. Er lächelte – wie damals beim Abschied in Marseille. Seine dunklen Augen hatten sie angestrahlt, er hatte ihr die Hand geküßt – und zu jenem Zeitpunkt hatte er bereits ihren Tod und den ihres Vaters geplant gehabt! Sie hatte sich nie gestattet, das Offensichtliche zu begreifen – daß die Entwicklung sich zu günstig für Angelo gestaltet hatte, um nur auf einem glücklichen Zufall zu beruhen, und die Tatsachen zu sehen, die zu sehen sie nicht ertragen konnte. »Sie sind in ihn verliebt, und er hat Sie verraten«, hatte Thomas Marlowe gesagt – und er hatte recht! Jedenfalls zum Teil: Sie hatte Angelo geliebt – mit der ganzen Kraft ihres zehnjährigen schwärmerischen Mädchenherzens. Doch in Marseille, als Angelo sie auf den Stufen des Hauses, das von Rechts wegen ihr gehörte, sitzen sah und so übel verspottete, war allmählich ein Gefühl in ihr herangereift, das sie sich erst jetzt eingestand: der inbrünstige Wunsch nach Rache.
Angelo hatte damals seinen Plan wahrscheinlich gefaßt, als Franco Guardi ihre Verlobung ankündigte. Es war kein Glück gewesen- er war raffiniert. Ein gerissener Bursche. Und in jenem Winter vor ihrer Reise hatte er den Notar auf seine Seite gebracht. Er brauchte Jehan de Coniques, um sicherzustellen, daß er die Früchte seines Arrangements ernten könnte.
Schwach vor Müdigkeit lehnte Serafina sich mit geschlossenen Augen an die kühle Fensterscheibe. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte.
Aber Angelo hatte nicht in allem Erfolg gehabt – der Gedanke schlängelte sich durch ihr Bewußtsein wie ein silberner Fisch durch trübes Wasser. In einem Punkt hatte Angelo versagt – und wußte es noch nicht: Sie war am Leben!
Ihr Atem beruhigte sich. Angelo hatte ihr alles genommen – ihren Vater, die Firma und ihr Heim –, aber sie würde nicht untergehen! Seit sie sich ihre Liebe zu Angelo aus dem Herzen gerissen hatte, fühlte sie sich, als habe sie Fesseln abgestreift. Sie war frei!
Und auch wieder nicht. Dieses Haus war nicht ihres, ihre Existenz hing von den Launen eines alten Querulanten ab. Wenn er stürbe oder sich der Konvention beugte und sie entließe, stünde sie wieder vor dem Nichts. Und so war ihre Freiheit nicht von der Art wie die, die Angelo durch seine verbrecherischen Machenschaften gewonnen hatte. Wie sehr sie auch um das kämpfen würde, was ihr rechtmäßig zustand – sie mußte der Tatsache ins Auge sehen, daß sie nichts hatte, womit sie kämpfen konnte. Sie war machtlos – nicht zuletzt, weil sie eine Frau war. Sie besaß nichts, außer den Vorteil, daß Angelo nichts von ihrem Überleben wußte – und ihr rachesüchtiges Herz.
John Keane, Bevollmächtigter der English Levant Company, kam in jenem Frühling mit einem Satz Schachfiguren und einer neu bespannten Laute auf einer kleinen dreimastigen, ziemlich mitgenommenen Galeone in Livorno an. Das Schiff trug die Insignien der Levant Company. Auf See, unter dem roten Kreuz von England,
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