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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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wie eine Kapitulation. »Dann hört eben mir zu. Das, was Bruder Johannes Euch zu sagen hat, ist auch meine Geschichte.« Er sah grau aus, und seine Hände zitterten. »Vor knapp dreißig Jahren lebten Johannes und ich einige Zeit in Padua«, begann er. »Wir studierten dort zusammen mit Peter Ludder Medizin. Ludder war ein gelehrter Mann, aber auch immer ein wenig umstritten. Vor allem jedoch litt er unter chronischer Geldnot, was ihn dazu verführte, für einen Tiroler Herzog spezielle ...«, er presste kurz die Lippen zusammen, »... Studien in Angriff zu nehmen.«
    Der Büttel wirkte äußerst ungeduldig, und weil Hartmann nicht weitersprach, nahm Johannes den Faden für ihn auf. »Diese speziellenStudien waren anatomische Forschungen. Leichenzergliederungen, um es genau zu sagen.«
    Der Büttel pfiff durch die Zähne, doch Johannes sprach rasch weiter. Wenn er jetzt aufhörte, würde ihn der Mut verlassen. »Wir halfen Ludder bei seinen Forschungen. Wir achteten natürlich darauf, nur Heiden zu zerschneiden, genau so, wie es der Heilige Vater Sixtus IV. vorgeschrieben hat. Auf diese Weise gelangten wir zu vielen Erkenntnissen darüber, wie es um die menschliche Natur bestellt ist, und wir mussten begreifen, dass Gott den Menschen als wahres Wunderwerk geschaffen hatte. Aber unseren eigentlichen Auftrag konnten wir nicht erfüllen.«
    »Kommt endlich zum Punkt!«, knurrte der Büttel.
    »Der besagte Tiroler Herzog litt an einer Herzschwäche, an der bereits sein Vater und auch sein Großvater jung verstorben waren. Kein Medicus der Welt konnte ihm helfen, und wir waren sozusagen seine letzte Rettung. Er hoffte, durch unsere Forschungen Erkenntnisse darüber zu erlangen, wie ein Herz arbeitet. Er hoffte, dass wir einen Weg finden würden, ihn vor einem frühen Tod zu retten.«
    »Aber das gelang nicht«, warf Hartmann dazwischen.
    Johannes schüttelte den Kopf. »Den eigentlichen Auftrag vermochten wir nicht zu erfüllen. Da kam Peter Ludder auf eine Idee.« Er musste innehalten, weil die Erinnerung an jene Tage ihm die Luft abschnürte. Waren sie wirklich so überheblich gewesen? »Er schlug vor, es Galen gleichzutun und unsere Studien auf Tierkadaver auszuweiten.« Johannes sah Unverständnis im Gesicht des Büttels, aber er hatte auch das Gefühl, dass der Mann sich langsam für ihre Geschichte zu interessieren begann. »Wir waren uns nicht im Klaren darüber, wie er aus toten Tieren mehr Erkenntnisse ziehen wollte als aus toten Menschen. Aber genau das war der Punkt.«
    »Ludder wollte keine toten Tiere zergliedern«, mischte sich wieder Hartmann ein. Der Satz stand im Raum und ließ Johannes frösteln.
    Draußen ertönte ein Donnerschlag, doch noch war er weit entfernt und schwach.
    »Er wollte herausfinden, wie ein schlagendes Herz arbeitet?« Jetzt sprach der zweite Büttel, der bisher geschwiegen hatte. Er war dickerals der andere, und seine Augen hatten einen hellen, aufmerksamen Glanz. Auf der Oberlippe zierte ihn eine dicke rötliche Warze.
    »Ja«, murmelte Hartmann, und Johannes war ihm dankbar dafür. »Wir haben Tiere betäubt, indem wir ihnen einen Schlag auf den Kopf gaben. Und dann haben wir sie aufgeschnitten. Wir haben dadurch eine Menge wertvolles Wissen erlangt.«
    Der Büttel schüttelte den Kopf. Johannes konnte ihm den Ekel ansehen, den er empfand. »Aber dann ist etwas schiefgegangen, vermute ich?«
    Johannes nickte. Was jetzt kam, schlich sich auch heute noch manchmal in seine Alpträume. »Bei einer unserer Studien hatten wir unser Versuchstier nicht gut genug betäubt. Es erwachte mitten in der Untersuchung. Und es schrie.« Johannes hob die Hände zum Kopf. Noch heute konnte er die Schreie des Tieres hören, sein hohes Kreischen, das Rauschen der großen weißen Flügel. Entsetzen packte ihn mit eisiger Hand, und sein Herz wollte ihm die Rippen zersprengen.
    »Was für ein Tier war das?«, fragte der Büttel mit der Warze.
    Hartmann räusperte sich. »Ein Schwan.«
    * * *
    »Ein weiterer Engelmord?« Richard stand in Jörg Zeuners Kontor, den Hut in der einen Hand und das Heft seines Schwertes in der anderen.
    »Ich fürchte, ja.« Der Bürgermeister lehnte am Fenster..
    »Warum habt Ihr mich rufen lassen?«, fragte Richard. Er war froh darüber, dass Zeuner offenbar zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt war, um ihn nach Katharinas Verbleib zu fragen.
    »Euch und Enzo Pömer. Ich habe auch nach ihm schicken lassen, er müsste ebenfalls gleich eintreffen.« Tiefe Linien hatten sich

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