Seraphim
um Zeuners Mund eingegraben. »Ich brauche Euren medizinischen Rat«, beantwortete er dann Richards Frage.
Richard legte seinen Hut auf dem Pult ab. »Warum das? Ihr hattet doch Medicus Schedel als Fachmann hinzugezogen.«
Die Linien um Zeuners Mund verschärften sich. Der Bürgermeister entblößte die Zähne, und es war eine Geste voller Zorn undgleichzeitig voller Hilflosigkeit. »Ich habe Schedel in Verdacht, etwas mit der ganzen Sache zu tun zu haben.«
Vor Überraschung ließ Richard sich auf den Stuhl fallen. »Das ist nicht Euer Ernst?« Er dachte daran, wie er Hartmann Schedel hatte rufen lassen, um Katharina zu behandeln. »Wie kommt Ihr darauf?«
»Es ist nur ein Gefühl. Aber in meinen Augen verhält er sich merkwürdig, sobald eine neue Leiche auftaucht. Er überspielt es, und er macht es gut. Aber dennoch glaube ich, dass er etwas weiß, das er uns nicht sagen will.«
»Aber ...« Richard wurde unterbrochen, weil an die Tür geklopft wurde und ein weiterer Ratsdiener den Kopf ins Kontor streckte.
»Ich habe Kaufmann Pömer nicht angetroffen«, meldete er. Er war ein wenig atemlos vom Laufen. »Sein Diener behauptet, nicht zu wissen, wo er sich aufhält.«
»Vielleicht schläft er, weil die letzte Nacht so kurz war«, sagte Richard. Insgeheim jedoch vermutete er, dass sich Pömer in seinem Keller befand und dass Thomas, sein Diener, den Befehl erhalten hatte, niemanden zu ihm vorzulassen.
Zeuner rümpfte die Nase. »Möglich. Die Ereignisse nehmen uns alle mit. Und dieser letzte Mord besonders.«
»Warum?« Richard verspürte Unbehagen. »Ist er ... anders als die beiden anderen?«
Zeuner lächelte schmal. »Ich weiß davon, dass Ihr Euch Hogers Leiche angeschaut habt. Der Büttel hat mir davon erzählt. Aber um Eure Frage zu beantworten: Kommt, und seht selbst!«
Er marschierte an Richard vorbei zur Tür. Mit solchem Schwung riss er sie auf, dass sie gegen seine Stiefelspitze krachte. Richard musste sich beeilen, ihm zu folgen.
Zu seiner Überraschung führte Zeuner ihn nicht wie erwartet zum Predigerkloster, sondern in einen schmalen Gang im unteren Geschoss von einem der unzähligen Anbauten des Rathauses. Vor einer schlichten, billig aussehenden Holztür blieb er stehen. Das mächtige Schloss, das daran angebracht war, schien ganz neu zu sein und wirkte für die Tür viel zu massiv.
Zeuner nestelte einen Schlüssel aus seinem Schlüsselbund und schloss auf. »Wir haben die Leiche erst einmal hierher bringen lassen,weil die Kärrner mit den Toten vom Rabenberg beschäftigt sind.« Er gab der Tür einen Stoß, und mit einem leisen Quietschen schwang sie nach innen.
Richard roch den scharfen Geruch von Essig und Seife – offenbar war dieser Raum ein Putzmittellager. Doch dann drang etwas anderes in seine Nase, das schwere, süßliche Aroma von Blut. Er wappnete sich.
Der Raum hatte kein Fenster, und die Dunkelheit wich nur widerwillig zurück, als Zeuner eine Kerze von einem der Regale nahm, sie draußen auf dem Gang an einer Lampe anzündete und dann in die Höhe hielt.
»Bei Gott!« Der Ausruf rutschte Richard einfach heraus. Mit zwei schnellen Schritten war er bei der Leiche, die man einfach auf den Fußboden gelegt hatte.
Es war Faro.
Richard kniete sich neben ihn. Die Spitze seines Schwertes schrammte dabei über den Boden. »Wie konnte das geschehen? Ich meine: Saß er nicht mehr im Kerker?«
»Doch.«
Richard berührte die Leiche. Sie strömte noch einen letzten Rest von Wärme aus. »Er kann noch nicht sehr lange tot sein. Er ist noch nicht gänzlich kalt. Ich würde vermuten, er ist nach Hoger gestorben. Und Ihr sagt, Ihr habt ihn in seiner Zelle gefunden?«
»Ja.«
Jetzt wandte Richard den Kopf. Zeuner hatte die Kerze auf das oberste Regalbrett gestellt. Gerade war er dabei, weitere zu entzünden.
»Ihr persönlich?«, präzisierte Richard seine Frage.
Zeuner nickte und ließ Wachs auf das Regalbrett tropfen. »Ich hatte gestern Abend bereits Nachricht vom Lochwirt erhalten, dass Faro Jorges offenbar dabei war, aus seinem Wahn aufzuwachen. Aber wegen all der Dinge, die zu tun waren, die Hinrichtung, der Mord an Hoger, hatte ich keine Zeit, mich sofort darum zu kümmern. Heute Nachmittag ging ich hinunter ins Loch – und da fand ich ihn so. Die Zellentür war übrigens abgeschlossen.«
»Der Mörder muss also Zugang zum Loch haben.« Ein Flügel ragteunter Faros Arm hervor, und vorsichtig strich Richard über die weißen Federn. Sie waren mit dunklem Blut verklebt. Er
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