Seraphim
sich ihr Kleid über das Untergewand, in dem sie die ganzen letzten Tage verbracht hatte. Der Rock roch muffig und war steif von Blut, und sie ekelte sich davor. Da sie aber auf keinen Fall Richard auf dem Gang seines eigenen Hauses völlig unzureichend bekleidet begegnen wollte, überwand sie sich. Die wirren und unangenehm fettigen Haare drehte sie zu einem losen Zopf und warf ihn über die Schulter nach hinten.
Dann machte sie sich daran, das Haus zu erkunden.
Es war für einen Mann, der allein lebte, recht groß. Vor dem Schlafzimmer erstreckte sich ein breiter Flur, auf dessen dunklem Dielenboden orientalische Teppiche lagen. Hier hingen ebenfalls seltsame Zeichnungen an den Wänden, darunter aber auch ein einzelnes farbiges Gemälde. Es zeigte ein sehr junges Mädchen mit blassem Gesicht und großen dunkelbraunen Augen. Es trug ein Kleid mit hellblauen Schleifen am Ausschnitt, und eine weiße Lilie ruhte in seiner rechten Hand. Katharina studierte eine Weile lang die regelmäßigen, feinen Gesichtszüge. Sie erinnerten sie ein wenig an Richard, und Katharina vermutete, dass es sich bei dem Bild um Magdalena handelte.
In einem reichverzierten Messinghalter steckten dicke weiße Kerzen, die jedoch nicht angezündet waren. Der Flur lief um eine Ecke, und dahinter entdeckte Katharina eine Treppe, die in einem weiten Bogen ins Erdgeschoss führte.
Noch immer achtsam, dass ihr nicht wieder schwindelig wurde, ging sie nach unten, wo sie vor einer halb offenstehenden Tür stehenblieb.
Kurz überkamen sie Skrupel, hier einfach so hineinzumarschieren, aber dann siegte der Wunsch, mehr über Richard zu erfahren. Ihr Herz klopfte, als sie die Tür ein Stück weiter aufstieß.
Richards Kontor.
Der Tür genau gegenüber, zwischen zwei Fenstern, die offenbar auf die Tuchgasse hinausführten, stand ein Sekretär aus rotbraunem Holz. Sein Aufsatz hatte gläserne Türen, und durch die Scheiben hindurch konnte Katharina weitere Bücher erkennen. Ein Stapel Papier lag auf dem Pult, eine einzelne Schreibfeder daneben, aber kein Tintenfass. Dafür ein hoher Bücherstapel, ganz an die Kante des Pultes gerückt. An den Wänden rechts und links hingen weitere Zeichnungen, diesmal alle farbenfroh, jedoch mit ungewöhnlichen Motiven. Katharina tat einen Schritt in das Kontor hinein und betrachtete sie. Ein paar bunte Blumen befanden sich auf dem einen. Eine sonnenbeschienene Landschaft auf dem anderen. Ganz in zarten, pudrigen Farben waren sie gemalt, anders als das Ölgemälde auf dem oberen Flur. Doch so profane Motive? Blumen? Ein Hügel, ganz ohne Kirche oder Menschen?
Sie freute sich schon darauf, Richard danach zu fragen, was er an diesen Bildern fand.
Das oberste Blatt auf dem Papierstapel war leer, aber da es leicht verrutscht war, konnte Katharina erkennen, dass das darunterliegende beschrieben war. Sie zögerte nur kurz, dann nahm sie das leere Blatt fort.
Und ließ es fallen.
Schwarze Linien. Diesmal erkannte Katharina auf den ersten Blick, was sie darstellten. Eine Faust. Ohne Haut. Wie straff gespannte Saiten zogen sich die Muskeln vom Gelenk quer über den Handrücken und über die Finger. Die Zeichnung war so detailgetreu, so sorgsamausgeführt, dass Katharina ganz kurz vermeinte, den Geruch von frischem Blut wahrzunehmen.
Sie taumelte zurück.
Dabei fiel ihr Blick auf den Bücherstapel auf dem Pult. Etwas stand dahinter, gegen den gläsernen Aufsatz gelehnt. Ein Brett. Bezogen mit dunkelgrünem Samt. Doch das war es nicht, weshalb Katharina die Hände vor den Mund presste und entsetzt keuchte.
Auf dem Brett, mit dünnen Nägeln fein säuberlich aufgespannt, hing ein schillernder Vogelflügel!
* * *
Der eine der beiden Büttel, ein schlaksiger Mann mit dicken Unterarmen und einer schiefen Nase, schaute Johannes misstrauisch ins Gesicht. »Was hat ein Mönchlein wie Ihr mit dieser Sache zu tun?«
»Das erklären wir besser Bürgermeister Zeuner selbst. Los, bringt uns zu ihm!«, verlangte Johannes. Aber es gelang ihm nicht, genügend Autorität in seine Stimme zu bringen.
»Am besten«, brummte der Mann, »Ihr erzählt mir erst einmal, was Ihr dem Bürgermeister zu sagen habt. Er ist ein vielbeschäftigter Mann, und er kann sich nicht mit jeder Grille eines versponnenen Pfaffen beschäftigen!«
Johannes atmete tief durch. Draußen vor den Fenstern verfärbte sich der Himmel jetzt in rasender Geschwindigkeit zu einem düsteren Gelb.
Ein erster Blitz zerriss den Himmel.
Hartmann senkte den Kopf. Es wirkte
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