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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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schaute auf das Gesicht des toten Röhrenmeisters. Anders als bei Matthias Körber hatte man diesem Mann die Augen geschlossen, und dadurch wirkte er ein wenig friedlicher als die beiden anderen Opfer. Richard erinnerte sich an Zeuners Andeutung, dass dieser Mord beunruhigender war als die beiden ersten, und er sah noch einmal genauer hin.
    Die Flügel hatten, anders als bei Matthias und auch bei Hoger, mehr Blut abbekommen, an der Stirn befand sich eine Abschürfung, die vermuten ließ, dass man Faro vor seinem Tod bewusstlos geschlagen hatte.
    »Er hat keine Stichwunde am Bauch!« Zeuner klang, als kämpfe er mit der Übelkeit. »Körber und Hoger hatten das.«
    Richard stützte sich mit der Faust am Boden ab und erhob sich. Seine Stimme zitterte, als er die Worte des Bürgermeisters ergänzte: »Diesmal hat der Mörder ihm die Flügel bei lebendigem Leib angeheftet!«
    * * *
    Der Geruch des Flügels drängte sich in Katharinas Nase, schwer, süßlich, nach beginnender Verwesung stinkend.
    Die Wände des Kontors drohten auf sie einzustürzen. Richards Stimme dröhnte in ihrem Kopf.
    Was, wenn ich Euch beichte, ein Mörder zu sein?
    Keuchend kämpfte sie gegen den Druck auf ihrer Brust an.
    Richard?
    Die Gedanken in ihrem Kopf drehten sich wild im Kreis. Er wäre der Letzte gewesen, den sie verdächtigt hätte.
    Er – der Engelmörder?
    Sie wankte rückwärts, bis sie einen Stuhl in ihren Kniekehlen spürte. Ohne sich umzuwenden, fiel sie darauf und bog den Oberkörper nach vorn, um nicht ohnmächtig zu werden. Auf einmal ergab alles einen Sinn!
    Er war plötzlich aufgetaucht, nachdem Matthias ermordet worden war, hatte sich aufopferungsvoll um sie gekümmert. Was bezweckte er? War er wahnsinnig? Sie rief sich sein Gesicht ins Gedächtnis, seine Augen mit diesem seltsamen flackernden Blick. Die Schuld, die siemanchmal darin zu sehen geglaubt hatte. Was für ein Spiel spielte er mit ihr? Und was war mit dem Mord an Peter Hoger? Sterner war bei ihr im Loch gewesen, als Hoger gestorben war. Der Mann mit den grünen Augen fiel ihr ein. Arnulf. Was hatte Sterner über ihn gesagt?
    Manchmal hilft er mir, wenn ich allein nicht weiter weiß.
    Draußen auf dem Marktplatz rumpelte ein Fuhrwerk vorbei und riss Katharina aus ihrer Starre. Schritte erklangen.
    Blieben sie vor dem Haus stehen?
    Kerzengerade saß Katharina da, lauschte. Ihr Herz trommelte gegen die Rippen. Anatomische Studien! Das war es, was er trieb.
    Sie musste die Augen schließen. Freigelegte Muskeln, Blut an seinen Händen. Die Schritte verklangen. Im nächsten Moment wurde der Klingelzug betätigt.
    Katharina stemmte sich in die Höhe. Sie musste fort von hier! Sie stolperte aus dem Kontor, auf dem Flur blickte sie sich panisch um. Keine Zeit mehr, ihre Schuhe von oben zu holen. Fort von hier! Sie riss die Haustür auf und hetzte auf die Straße.
    Fast rannte sie dabei einen Stiefelputzerjungen um, der auf dem Hausstein stand.
    * * *
    Auf dem Weg zurück in Zeuners Kontor rasten Richards Gedanken. Die Reihenfolge der Toten. Matthias: Katharinas Bruder. Peter Hoger: der Mann, der sie der Hexerei angeklagt hatte. Und jetzt Faro.
    Sie hatten das Kontor noch nicht ganz erreicht, als Richard wie angewurzelt stehenblieb.
    »Ist Euch etwas eingefallen?« Fragend schaute Zeuner ihm ins Gesicht.
    Die Opfer waren nicht zufällig ausgesucht, sondern folgten einem Plan. Und Katharina war die Verbindung!
    »Vielleicht«, antwortete er. »Aber ich weiß es noch nicht. Ich muss weg. Sobald ich etwas herausgefunden habe, gebe ich Euch Bescheid!« Er rannte los.
    Was, wenn Katharina in Gefahr war?
    »Erzählt mir wenigstens, was Euch ...« Er war um eine Ecke, bevor Zeuner zu Ende gesprochen hatte. In der Eingangshalle kamen ihm einige Männer entgegen.
    »Sterner!« Er erkannte Hartmann Schedels Stimme, aber er blieb nicht stehen.
    »Ich muss weg!«, rief er dem Medicus zu und war bereits auf der Straße. Die Sonne stand nur noch knapp eine Handbreit über den Dächern der Stadt, und der Himmel hatte in der Zwischenzeit eine düstere, seltsam fahle Tönung angenommen. Die Luft war erfüllt von einer Spannung, die Richard anhalten ließ, als sei er gegen eine Wand geprallt. Schlagartig stellten sich die Härchen in seinem Nacken hoch, und er tastete nach dem Schwertknauf.
    Vom Weißen Turm her wurde die Stunde geläutet, der Türmer auf dem Laufer Schlagturm fiel ein, und Richard bemerkte, dass die Glocken von St. Sebald stumm blieben. Er hatte jedoch kaum Gelegenheit,

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