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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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um in die Finsternis des Wahnsinns abzutauchen. Der Schwan reichte aus. Er reichte bei weitem aus.« Hartmann wischte sich über das Gesicht, und kurz meinte Johannes, Tränen in seinen Augen schimmern zu sehen.
    »Der Junge hatte den Verstand verloren und das Morden angefangen?«, hakte Zeuner nach. Er stützte sich jetzt auf dem Pult ab. Die Sehnen an seinen Unterarmen bebten.
    Hartmann atmete tief durch. »Wie ich schon sagte, er war schwer krank, und andere Jungen hänselten ihn oftmals, weil er so entstellt war. Ein paar Tage nach der Sache mit dem Schwan tötete der Junge einen von ihnen im Streit. Und dann ... Er nahm die Flügel des toten Schwans und befestigte sie an der Kleidung des Ermordeten.«
    »An der Kleidung?«, wunderte sich Zeuner.
    Es war einer der Gründe gewesen, warum Hartmann sich so lange geweigert hatte, die Wahrheit zu erkennen, das war Johannes völlig klar. Sie beide hatten sich eingeredet, dass die Morde hier in Nürnberg nichts mit dem in Padua zu tun hatten. Und die Tatsache, dass der Mörder damals die Flügel nur an der Kleidung befestigt und sie nicht im Fleisch seiner Opfer versenkt hatte, hatte es ihnen erleichtert, sich etwas vorzumachen.
    »Es war nicht wie hier. Der arme Kerl hatte seinen Gegner im Streit erschlagen, und er hatte ihm die Flügel angehängt wie zweiSchmuckstücke. Nur darum wurde er damals nicht verurteilt, als man ihn fasste. Es war eindeutig, dass er verrückt war.«
    »Und was geschah dann mit ihm?«
    »Wir mussten Padua verlassen. Wir nahmen ihn mit uns.«
    »Hierher nach Nürnberg.« Zeuner rang die Hände auf der Tischplatte. Er wirkte jetzt ganz und gar fassungslos. »Wer ist dieser Junge?«
    »Er ist heute ein Mann. Seitdem hat er sich niemals wieder etwas zu Schulden kommen lassen. Ich glaube nicht, dass er der Engelmörder ist. Er ist ...«
    »Halt!« Zeuners scharfe Stimme unterbrach Hartmanns Redefluss. »Wer – ist – er?«
    Hartmann presste die Lippen zusammen, bevor er antwortete. »Sebald Groß.«
    * * *
    Wie um Sebalds Worte zu bestätigen, dass sie nur unten im Loch sicher waren, donnerte jemand mit so brutaler Wucht an die Haustür, dass sie in ihren Angeln erzitterte. Ein Brüllen erklang, gedämpft zwar, doch es kam eindeutig aus der Gasse vor dem Gefängnis. Etwas krachte gegen die Wohnungstür. »Aufmachen, Höllenwärter!«, schrie eine Männerstimme. Noch einmal wurde an das schwere Holz geschlagen, diesmal rieselte etwas Putz von der Wand direkt neben den Angeln.
    »Genau das meinte ich.« Sebald löste sich aus seiner Ecke und trat neben Katharinas Stuhl. »Komm! Ich bringe dich auch runter.«
    Hatte sie sich noch eben in die Sicherheit der Tiefe flüchten wollen, so war Katharina plötzlich die Vorstellung, in das Loch zurückzukehren, unerträglich. Sie entzog sich Sebald, verschüttete dabei etwas von ihrem Wasser. In diesem Augenblick klirrte es über ihren Köpfen, und durch das Fenster kam ein Stein hereingeflogen. Er sauste durch die Luft, traf einen der Schränke und landete dann polternd auf den Fliesen. Katharina sprang auf.
    »Lochwirt!«, schrie eine zweite Stimme, heller als die erste.
    Der nächste Stein, der geflogen kam, war in ein Stück brennendes Papier eingewickelt. Er zischte nur knapp an Katharinas Kopf vorbei und landete mitten auf dem Tisch, stieß einen Holzbecher um. Mit einem leisen Fluch wischte Sebald das brennende Geschoss zuBoden, wo es erlosch. Katharina warf einen ängstlichen Blick zum Fenster. Mehrere Schatten waren dort zu erkennen. Schleifende Geräusche erklangen, als würde etwas Schweres auf das Fenster zugeschoben.
    »Los jetzt!« Sebald packte sie erneut, und diesmal wehrte sie sich nicht. Eilig folgte sie ihm zur Treppe. Sie suchte hinter ihm Schutz, als ein weiteres brennendes Geschoss geflogen kam. Diesmal trafen die Unruhestifter eines der Bilder an der gegenüberliegenden Wand. Ein paar Funken stoben auf, das Wurfgeschoss fiel zu Boden und verlosch. Das Bild der Jutta von Sponheim wackelte an seinem Nagel, dann fiel es herunter. Etwas Weißes löste sich von der Rückseite des Rahmens und trudelte zu Boden.
    Katharina hatte nicht mehr die Zeit, genauer hinzusehen, was es gewesen war, denn jetzt packte Sebald sie unsanft an der Hand und zog sie die Treppe hinunter. Durch die Küche und in die Brunnenstube hinein. Die Tür fiel hinter ihnen zu, doch das Geräusch, mit dem sie es tat, klang falsch, nicht laut genug.
    »Sie ist nicht richtig zu ...«
    Sebald ließ sie nicht ausreden. »Komm

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