Seraphim
mit!«, befahl er, zog Katharina in den Gang. Er stieß die Tür einer der Zellen auf. Im Licht der trüben Funzeln konnte Katharina das Symbol nur vage erkennen, das darüber gemalt war. Die schwarze Katze.
Die Zelle, in der sie schon einmal gesessen hatte.
Sie blieb wie angewurzelt stehen.
»Da rein!«, sagte Sebald.
Die Finsternis erfüllte die Zelle wie eine körperliche Substanz. Katharina kam es vor, als tauche sie in die Schwärze geradezu ein. Katharina tastete nach der verkleideten Wand.
»Mutter, ich bringe dir Katharina«, sagte Sebald. »Kümmere dich um sie, ja?«
Ein Rascheln ertönte, dann ein Husten. Sigrid hockte irgendwo in der Dunkelheit. Ihres Sehvermögens so unvermittelt beraubt, sah Katharina noch einmal das zu Boden fallende Heiligenbild, dann das Ding, das ihm hinterhergeschwebt war. Plötzlich wusste sie, was es gewesen war.
Eine Feder.
Sie tastete sich durch die Finsternis, stolperte über das leere Kohlebecken und wäre fast gestürzt.
»Sebald?«, erklang Sigrids weinerliche Stimme. »Wann lässt du mich hier wieder raus?«
Katharinas Geist weigerte sich, den richtigen Schluss zu ziehen.
Eine Gänsefeder?
»Bald, Mutter. Wenn sich oben alles wieder beruhigt hat.«
Katharina drehte sich um. Das Viereck der Tür zeichnete sich kaum heller gegen die Dunkelheit ab. Sebalds Gestalt war nur undeutlich zu erkennen.
Zu groß für eine Gans!
Katharinas Gedanken rasten. Sie machte einen Schritt auf die Tür zu.
»Bleib da drinnen!«, befahl Sebald. Seine Stimme klang anders, kälter als sonst.
Und dann, wie der Riegel eines Schlosses, der von einem Schlüssel bewegt wird, rasteten Katharinas Gedanken ein.
Eine Schwanenfeder!
Katharina hob die Hand. Das hellere Rechteck der Tür schmolz zusammen. Die Tür fiel zu. Die Finsternis war vollkommen.
»Sebald!« Katharina konnte nicht anders. Sie kreischte seinen Namen.
* * *
Pömer erzählte Richard in ausführlichen Worten, wie er auf Sebald Groß als Engelmörder gekommen war, aber es fiel Richard schwer, ihm aufmerksam zuzuhören. Zu groß war sein Wunsch, auf der Stelle zu Zeuner zu gehen und ihm die Erkenntnis mitzuteilen. Bevor er den Getreidehändler jedoch unterbrechen konnte, wurde unten im Haus Geschrei laut.
»... Ihr könnt hier nicht so einfach rein!«, schrie Thomas mit empörter Stimme.
»Ich kann. Siehst du doch!« Während er das sagte, polterte Arnulf die Treppe hinauf. »Richard!«, brüllte er.
Richard trat aus dem Zimmer. »Was ist?«
»Ich war gerade bei dir zu Hause.« Arnulf atmete schwer, und sein Gesicht war rot vom Laufen. »Katharina ist weg!«
»Was heißt weg?«
Pömer kam hinter Richard auf den Flur, und Arnulf zog Richard zur Seite. Übergangslos wechselte Arnulf in seine Gossensprache. »Sie muss aufgestanden sein. Sieht aus, als hätt se das Haus fluchtartig verlassen. Ein Stiefelputzerjunge hat se gesehen. Sagt, se is nach Norden gerannt. Barfuß.«
Richard fluchte. »Dann ist sie genau in den Aufruhr am Großen Markt gelaufen! Wir müssen sie suchen.« Er wollte schon an Arnulf vorbei und die Treppe hinunter, als der Nachtrabe ihn festhielt.
»Beruhige dich! Sie ist eine kluge Frau, sie wird sich in Sicherheit gebracht haben«, sagte er so leise, dass nur Richard ihn verstehen konnte. Sein Blick war dabei auf Pömer gerichtet.
Seine Worte ließen Richard an etwas denken, das Katharina vor kurzem gesagt hatte.
Zu ihm konnte ich immer gehen, wenn ich Zuflucht brauchte.
Die Mosaiksteinchen fielen an Ort und Stelle, und bei dem Bild, das sie Richard enthüllten, stockte ihm der Atem. »Sebald!« Er stürzte an Arnulf vorbei und war bereits aus dem Haus und im strömenden Regen, als ihm ein Gedanke kam. Er drehte sich zu Arnulf um. »Nimm dir ein paar Männer, und sucht nach ihr. Vielleicht hat sie Sebalds Wohnung gar nicht erreicht.«
»Was hast du vor?«, rief Arnulf ihm nach, während er schon die Treppe hinunter war.
Aber Richard antwortete ihm nicht mehr.
Zu seiner Verblüffung herrschte im Eingangsbereich des Rathauses große Betriebsamkeit. Mehrere Büttel standen dort bereit, die Hände an den Schwertern und die Helme auf dem Kopf. Johannes und Hartmann Schedel befanden sich mitten unter ihnen, kleinlaut beide und blass im Gesicht. Und Zeuner, der ein blank gezogenes Schwert in der Hand hielt, gab mit lauter Stimme Befehle.
Er unterbrach sich, als er Richard entdeckte. »Sterner!« Mit weit ausholender Geste winkte er ihn zu sich heran. »Wir wissen, wer der Engelmörder ist: der
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