Seraphim
Warmer Atem streifte ihre Wange, dann spürte sie Hände erst auf ihren Brüsten und schließlich unter ihrem Rock. Sie schrie.
»Hab dich nicht so!«, keuchte der Mann und schob die Hüften vor, um Katharina auf diese Weise noch fester gegen die Wand zu pressen. Der Griff seiner Finger auf der Innenseite ihrer Oberschenkel war hart und schmerzhaft.
Katharina zwang sich innezuhalten. Ganz kurz lockerte sich der Griff des Mannes, und ein Laut der Überraschung kam über seine Lippen. »Siehst du!« Er stöhnte jetzt. »Du willst es auch, ich wusste es.«
Katharina tastete hinter sich. Kurz streiften ihre Finger über rauen Wollstoff, dann waren sie am Ziel. So fest sie konnte, quetschte sie das Geschlecht des Mannes zusammen. Mit einem schrillen Schmerzenslaut ließ der Wahnsinnige sie los und taumelte zurück. Katharina ging auf ihn los und rammte ihm ihr Knie in den Leib.
Beide Hände zwischen die Beine gepresst, fiel er um. Katharina sprang über ihn hinweg. Ihr Fuß verfing sich, sie stolperte. Ihr Handgelenk knackte, als sie sich an einer Mauer abfing. Der erste Wahnsinnige war hinter ihr, seine Finger krallten sich in ihren Rock. Sie strampelte und trat um sich, und endlich kam sie frei. Keuchend und schluchzend rappelte sie sich auf, fiel erneut hin, doch dann war sie endlich auf den Füßen und rannte. Um eine Hausecke.
In die Arme einer dicken grauhaarigen Frau.
Sie schrie auf, wollte die Hände heben, um der anderen ihre Nägel ins Gesicht zu schlagen. Doch die Frau brüllte sie an.
»Kindchen! Ich tu dir nichts!«
Da kam Katharina zur Besinnung. Sie würgte. Sie drängte die Frau zur Seite und hastete weiter.
Der Himmel über ihr wurde violett.
Sie hetzte an einer Gruppe Geißler vorbei. Dann an einer Handvoll Kinder, die sich balgten wie ein Rudel junger Hunde, und die sich auch genauso ineinander verbissen. Sie rannte durch eine Gasse, die wie ausgestorben dalag, in der aber das Geschrei und Gekreische der Wahnsinnigen wie in einem langen Tunnel widerhallte.
Etwas klatschte ihr auf den Kopf, dann mitten ins Gesicht, und sie sah wieder die Peitschen der Geißler vor sich, das Blut, das von ihren Enden durch die Luft flog und alles besudelte. Doch es war kein Blut, das jetzt in immer dickeren Tropfen auf Katharina niederprasselte.
Es war Wasser.
Regen.
Ein Blitz fuhr quer über den Himmel und zerkratzte ihn in einer gleißend hellen Krallenspur. Katharina sank schweratmend gegen eine Hauswand. Der Regen durchnässte ihr Haar, das ihr in schweren Strähnen ins Gesicht fiel. Wasser rann ihr kalt über Brust und Rücken hinab.
In der Ferne grollte Donner und untermalte das Kreischen und das Heulen, das Nürnberg erfüllte, mit einem dumpfen, mahnenden Ton.
Der kühle Regen ließ Katharina ein wenig zur Besinnung kommen. Sie richtete sich auf und sah sich um. Weit war sie nicht gekommen, auch wenn ihre Beine vom Laufen schmerzten. Über dem Dach des gegenüberliegenden Hauses ragten die beiden Türme von St. Sebald in den nun gänzlich schwarzen Himmel. Ein Trupp Soldaten rannte über einen Platz, die Schwerter in den Händen.
Katharina überlegte nicht lange. Sie löste sich von der Hauswand und machte sich auf den Weg. Ihre ersten Schritte waren unsicher, doch dann begann sie zu laufen. Die nassen Pflastersteine der Straße waren jetzt nicht mehr heiß unter ihren nackten Sohlen, sondern kühl und glitschig.
Eine Frau kam aus einer Seitengasse getaumelt, ihr Gewand hatte sie bis zum Gürtel zerrissen, so dass ihre Brüste zu sehen waren. Das lange Haar stand ihr vom Kopf in alle Himmelsrichtungen ab, und kurz glaubte Katharina winzige Blitze zwischen den Haarspitzen zucken zu sehen. Sie wandte den Blick ab und lief weiter. Nur weiter. Nicht selbst verrückt werden.
* * *
Um das Ende des Irrsinns abzuwarten, hatten Richard und Pömer sich in ein Zimmer im obersten Stockwerk des Hauses begeben, wo sie nun am Fenster standen und schweigend, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft, hinausstarrten.
Der Himmel öffnete seine Pforten und schüttete so viel Wasser auf die Stadt hinab, dass es wie ein undurchdringlicher Vorhang vor Pömers Fenster niederrauschte. Der Marktplatz, die hölzernen Buden, die Menschen, die Wahnsinnigen und auch die Stadtsoldaten, die endlich aufgetaucht waren und versuchten, die Ordnung wiederherzustellen, alles verschwamm zu undeutlichen grauen Schemen.
Das Gewitter brachte frischen Wind mit sich, der die Haare an Pömers Schläfen erzittern ließ. Richard holte so
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