Seraphim
Lochwirt! Wir sind gerade dabei, ihn festzunehmen.«
»Ich weiß!«, rief Richard noch im Näherkommen. Auch er hatteim Laufen seine Waffe gezogen und hielt die Spitze gen Boden gerichtet. »Ich glaube, dass er Katharina Jacob in seiner Gewalt hat!«
»Scheiße!« Ein Büttel mit schiefen Zähnen kam einen Gang entlang gerannt, und Zeuner gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass er sich zu den anderen gesellen sollte. »Katharina? Sie lebt also tatsächlich?«
»Dafür ist jetzt keine Zeit!« Richard hob sein Schwert. »Lasst mich mit Euch nach unten gehen!«
Zeuner überlegte nicht lange. »Gehen wir!«, befahl er und winkte die Büttel zu sich. »Dieser Mann begleitet uns!«
Sie machten sich nicht die Mühe, das Rathaus zu umrunden und das Lochgefängnis durch den eigentlichen Eingang zu betreten, sondern rannten hinauf in den Ratssaal und dann durch eine niedrige Tür, die direkt auf eine schmale, eng gewendelte Treppe führte. Richard umklammerte den Griff seines Schwertes, der begann, sich ein wenig glitschig anzufühlen. Nach einem der Büttel und Zeuner selbst rannte er die Treppe hinunter.
* * *
Nachdem Sebald fortgegangen war und sie mit Sigrid alleingelassen hatte, schlug Katharina vor Wut und Schrecken mit der Faust gegen die Zellentür. Ihre Knöchel platzten auf. Sie nahm den Zeigefinger in den Mund und saugte an der Wunde. Dann drehte sie sich zu Sigrid um.
Die Finsternis war so undurchdringlich, dass sie nicht einmal die Hand vor Augen erkennen konnte. Sie hörte leise, gleichmäßige Atemzüge von Sebalds Mutter, aber sie vermochte nicht zu sagen, ob die Alte schlief oder wach war.
Langsam ließ sie sich an der Zellentür hinabgleiten, bis sie auf den Fersen hockte und den kalten Steinboden mit den Handflächen berühren konnte. Sie presste mit ganzer Kraft dagegen, als könne sie die Platte dadurch verschieben und sich einen Ausweg aus ihrem Gefängnis schaffen.
Die holzverschalten Wände mit ihrem dumpfen, muffigen Geruch drängten sich um sie herum, schienen näher und näher zu rücken und sie zu zerquetschen. Katharina spürte, wie ihr Herz zu galoppierenbegann. Um nicht loszuschreien, konzentrierte sie sich darauf, ihren Atem zu kontrollieren.
»Katharina?« Sigrids Stimme ließ sie zusammenzucken.
»Ich bin hier!« Ihre Beine begannen einzuschlafen, und sie erhob sich wieder. Vorsichtig tat Katharina einen Schritt.
»Komm zu mir!«, sagte Sigrid. Stroh knisterte. »Ich habe Angst.«
Mit tastend vorgestreckten Händen tappte Katharina tiefer in die Zelle hinein. Zwei Schritte, drei, dann trafen ihre Finger auf etwas Warmes.
Sigrids Gesicht.
»Hu!«, machte die alte Frau. »Erschreck mich doch nicht so!«
»Entschuldige.« Katharina tastete über die Umrandung der Bettstatt. Das schwach nach Staub und Schimmel riechende Stroh des Lagers rief Erinnerungen an die Nacht wach, als sie zum ersten Mal hier eingekerkert gewesen war. Katharina setzte sich, so dass Sigrid sich jetzt zu ihrer Rechten befand.
»Sebald wird bald wiederkommen,« sagte die Alte.
Die Angst schnürte Katharina die Kehle zu, doch dann begriff sie, dass Sigrids Stimme hoffnungsvoll geklungen hatte. Offenbar glaubte die alte Frau daran, dass ihr Sohn sie hierhergebracht hatte, um sie vor dem Pöbel zu beschützen.
»Was wird er tun?« Katharina war sich nicht sicher, ob sie Sigrid direkt auf die Morde und Sebalds Verstrickung ansprechen sollte. Die Alte kam ihr für den Moment recht klar vor, nicht so sehr in ihrer eigenen Welt gefangen wie sonst.
»Na, er wird uns rauslassen. Was sonst?«
»Bist du dir da sicher?«
Statt eine Antwort zu geben, tastete Sigrid im Dunkeln nach Katharinas Arm. Als ihre kalten, papiertrockenen Finger sie berührten, rann Katharina eine Gänsehaut den gesamten Arm hinauf und bis zum Scheitel.
»Du zitterst ja!«, stellte Sigrid fest. »Hast du Angst? Wovor? Hier unten können uns die Wahnsinnigen nichts anhaben. Darum hat Sebald uns ja eingeschlossen. Andererseits, wenn ich es recht überlege: Das hat diesem Faro auch nichts genützt.«
»Faro?« Katharina wandte den Kopf. »Was ist mit Faro?«
»Du weißt nichts davon?«
»Nein!« Katharina klemmte die Arme zwischen die Knie. »Sigrid, so rede doch endlich, was ist mit Faro?«
»Ein Engel ist er, genau wie Matthias. Sebald hat gedacht, ich begreife nicht mehr, was um mich herum vorgeht, aber ich habe genau gehört, wie er sich mit diesem Bürgermeister unterhalten hat, der hier herunterkam ...«
Das Weitere hörte
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