Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
Stadtbefestigung zurück zum Fluss.
    Die Pegnitz führte viel Wasser, seitdem das Gewitter über Nürnberg niedergegangen war, und das Holzrad der Mühle an der Schüdt drehte sich geschäftig und verursachte dabei trotz der späten Stunde eine Menge Lärm. Katharina überquerte den Fluss ein weiteres Mal und lenkte ihre Schritte jenen Weg entlang, den sie vor einigen Tagen schon einmal gegangen war.
    An jenem Tag, an dem Matthias gestorben war.
    Sie kletterte den Abhang hinunter, ließ sich in das weiche Moos sinken und blickte über den Fluss hinweg, in dessen Oberfläche sich der Mond und eine Handvoll Sterne spiegelten. In ihrem Licht sah Katharina ein paar Enten mit unter den Federn verborgenen Köpfen schlafen, aber von den Schwänen war kein einziger zu sehen.
    Katharina rupfte eine Handvoll Moos ab und ließ es von einer Hand in die andere rieseln. Irgendein kleiner Käfer, den sie in der herrschenden Dunkelheit nicht genau erkennen konnte, krabbelte an ihrem Zeigefinger entlang und versuchte, ihr zu entkommen. Sie setzte ihn zurück in das Moos.
    Irgendwann schließlich stand sie wieder auf. Sie klopfte ihren Rock sauber und wischte sich die Hände trocken. Dann wollte sie den kleinen Abhang hinaufklettern. Sie hatte den Fuß bereits auf die vorstehende Wurzel gesetzt, die ihr als Halt diente, als sie stutzte. Rechts von ihr, zwischen den schlanken Weidenruten leuchtete etwas Weißes.
    Katharina beugte sich herab und sah genauer hin. Der Boden war an dieser Stelle unnatürlich stark aufgewühlt. Ein unbehagliches Kribbeln griff nach ihrem Genick, und eine düstere Ahnung drohte ihr den Atem zu nehmen. Langsam hob sie die Hände und bog das Holz auseinander.
    Und dann biss sie in ihren Unterarm, um einen Schrei zu unterdrücken.
    Vor ihren Füßen, von dem bräunlichen Schlamm fast bis zur Unkenntlichkeit besudelt, lag der Kadaver eines weiteren Schwans. Die frischen Schnitte zwischen seinen weißen Rückenfedern wirkten im Mondlicht schwarz.
    Katharina ließ die Ruten los.
    »Es ist noch nicht vorbei!«, flüsterte sie.

23. Kapitel
    Pömer nahm einen fünfarmigen Leuchter von einem Tisch, auf dem außerdem eine seiner mechanischen Puppen stand. Er entzündete die Kerzen, führte Richard zur Kellertür und ließ ihn vorangehen. Er selbst hielt beim Abstieg den Leuchter an die beiden Kerzen auf dem Treppenabgang. Eine nach der anderen entflammte und erleuchtete einen Teil der Finsternis.
    Unten angekommen, stellte Pömer den Leuchter auf das Pult neben dem Regal.
    Der Raum sah genauso aus, wie Richard ihn in Erinnerung hatte. Das Regal an der gegenüberliegenden Seite, auf dem Pult das Buch des Ibn an-Nafis, das im Licht der Kerzen speckig glänzte.
    Und der Tisch direkt unter dem knochenartigen Gewölbe.
    Das weiße Laken. Die Umrisse des toten Jungen darunter. Ein schwerer Geruch lag in der Luft, und Richard fragte sich, wie lange der Tote jetzt schon hier lag. Mehrere Tage. Die Verwesung hatte längst eingesetzt.
    Pömer trat zu dem Toten und zog das Tuch weg. »Ich habe mir gedacht, dass Ihr nach Eurem Erfolg bei der Wasserprobe kein Interesse mehr an dieser Leiche haben dürftet. Darum habe ich mir erlaubt, mich selbst einmal an ihr zu probieren.«
    Das Licht der Kerzen auf dem Pult reichte nicht weit genug, dass Richard vom Fuß der Treppe aus erkennen konnte, was Pömer ihm zeigen wollte. Also trat er näher.
    Pömer hatte mit der Zergliederung weitergemacht und die rechte Hand des Jungen bis auf die Muskelstränge und die weißen, sehnigen Muskelhäute abgeschält. Das Fleisch glänzte nicht mehr, wie das bei frischen Schnitten der Fall gewesen wäre, sondern hatte eine dunkle, fast schwarze Färbung. Pömer zeigte auf die andere Hand des Toten. Sie hatte er bis auf die Knochen von allem Fleisch befreit.
    »Und?«, fragte er. »Seid Ihr zufrieden mit meiner Arbeit?«
    Richard beugte sich über die Leiche. »Ich dachte, Ihr wolltet mit der Anatomie Schluss machen?«, murmelte er. Die Muskelfasern der rechten Hand hatten an einigen Stellen Einschnitte, wo Pömer mit dem Skalpell zu tief geraten war. Aber das passierte vielen, die zum ersten Mal eine Zergliederung vornahmen. Alles in allem war es gute Arbeit.
    Richard nickte anerkennend.
    Pömer strich über die freiliegenden Knochen. Es war eine seltsame Geste, so voller Zärtlichkeit, dass Richard befangen wegschaute. Der Gestank der Verwesung kratzte ihm in der Kehle, und in seinem Hinterkopf machte sich ein leichter Schmerz bemerkbar.
    »Kommt mit,

Weitere Kostenlose Bücher