Seraphim
Zeit Erweiterungen vorgenommen zu haben. Dort war das Gestein mit regelmäßigen Bearbeitungsspuren versehen, ganz ähnlich jenen, die Richard unten in den Felsengängen entdeckt hatte. In ungleichmäßigen Abständen wurde die Höhle darüber hinaus durch uralte gemauerte Säulen gestützt, was ihr eine unheimliche Anmutung gab, wie die von einem längst vergessenen heidnischen Tempel.
Pömer hob den Kerzenleuchter hoch und entzündete mit ihm weitere Kerzen, die in vielarmigen mannshohen Ständern rechts und links vom Treppenaufgang standen. Noch immer keuchte er, und Richard konnte erkennen, dass ihm der Schweiß in dicken Tropfen von der Stirn rann.
Ein schwacher, aber beständiger Luftzug, von dem Richard nicht hätte sagen können, woher er kam, ließ die Flammen zittern. Offenbar war dieser Zug beständig zugegen, denn das Wachs war seitlich an den Kerzen zu bizarren Formen heruntergetropft. Wie Eiszapfen hing es von den Leuchtern herab. In der zunehmenden Helligkeit konnte Richard jetzt weitere Einzelheiten ausmachen.
Die Höhle schien groß zu sein, das Licht der Kerzen erhellte eine Fläche etwa so groß wie der Rathaussaal oder wie eine der kleinerenKirchen der Stadt. Ganz am Rand des Lichtkreises, im dort herrschenden Zwielicht gerade noch zu erahnen, befand sich irgendeine monströs anmutende Vorrichtung, deren Oberfläche das Kerzenlicht metallisch reflektierte. Richard kniff die Augen zusammen, doch es gelang ihm nicht, zu erkennen, um was es sich handelte. Rechts von ihm, zwischen zwei der natürlichen Säulen, standen Schränke mit unzähligen kleinen Schubladen. Eine dicke Holzplatte überspannte sie als Arbeitsfläche, die vollgestellt war mit allerlei Gerätschaften. Richard entdeckte große Schüsseln voller schwarzer Körner, Glaskolben in den verschiedensten Formen und Größen. Einige von ihnen standen auf dreibeinigen Metallgestellen, andere ruhten auf kleinen Samtkissen, was ihnen die Anmutung von kostbaren Kleinodien gab. Dutzende von tönernen Gefäßen standen an der Rückseite des Tisches aufgereiht, dort, wo ein silbern durchwirktes Stück schwarzen Stoffs aufgespannt war und den Blick in diesen Teil der Höhle verwehrte. Ein schwarz angestrichenes Regal mit weiteren Töpfen und Tiegeln stand im rechten Winkel auf der einen Seite des Labortischs, und ein rotes, in dem Bücher und Dutzende von nachlässig zusammengerollten Schriften aufbewahrt wurden, auf der anderen. Ein dritter Kerzenleuchter ragte über einen gusseisernen Ofen, dessen Oberfläche einen seltsamen Blauton angenommen hatte, und über einem flachen Kohlebecken war an einer Kette ein Kessel aufgehängt. Die Kohlen in dem Becken glommen sachte vor sich hin.
Richard trat näher. Seine Blicke schweiften über das hier unten so seltsam anmutende Labor, und mit den Fingerspitzen berührte er nach der Reihe mehrere der Glaskolben und Gerätschaften. »Was, bei allen Heiligen, ist das?«
Das Echo warf seine Worte als leises, spöttisches Flüstern zurück, bei dem sich ihm die Haare aufrichteten. Der Schmerz in seinem Schädel schien fort zu sein.
* * *
Nachdem sie begriffen hatte, was der neue Fund eines verstümmelten Schwans bedeuten mochte, hatte Katharina die Schüdt fluchtartig verlassen und war eine Weile wie betäubt durch die nächtlichen Straßen und Gassen geirrt. Die Kapuze, die ihr Antlitz verbergensollte, war ihr dabei vom Kopf gerutscht, und es war reines Glück, dass niemand sie erkannte.
Endlich besann sie sich.
Sie zog die Kapuze über ihren Scheitel tief ins Gesicht und ließ sich im Schatten einer Hausecke auf einen Mauervorsprung fallen, um nachzudenken.
Was sollte sie jetzt tun?
Der erste Gedanke, den sie hegte, war, dass sie die Menschen der Stadt warnen musste. Der Engelmörder war noch auf freiem Fuß. Sie hatten sich furchtbar geirrt, als sie geglaubt hatten, Sebald sei es.
Aber zu wem konnte sie gehen?
Bürgermeister Zeuner? Doch diesen Gedanken verscheuchte sie sofort, denn zu groß war die Angst, wieder ins Loch gesteckt zu werden. Zeuner war, wie die meisten anderen Bürger der Stadt, der Meinung, dass Katharina Jacob bei der Wasserprobe umgekommen war. Sie versuchte sich sein erstauntes Gesicht vorzustellen, wenn sie vor ihm stand, und dann hörte sie ihn im Geiste nach den Bütteln rufen.
Zu Zeuner konnte sie nicht.
Die beiden Brüder Schedel fielen ihr ein, aber sofort begriff sie, dass sie keine Ahnung hatte, welche Rolle diese beiden spielten. Sie hatten Sebald als Mörder
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