Seraphim
verlassen!« Bettine zog Katharina zu einem Brunnen, der aus einer Hausmauer kam. Um den Rand des kleinen Bronzebeckens lief eine schmale steinerne Bank. Auf diese setzten die beiden Frauen sich nun. »Ich habe über dich nachgedacht, meine Liebe, über dich und deine Fähigkeiten.«
Katharina hielt den Atem an, denn fast fürchtete sie, Bettine könne am Ende doch noch die Meinung ihres Mannes angenommen haben und in ihr eine Hexe sehen. Doch die nächsten Worte der Handwerkersfrau machten ihr klar, dass ihre Angst unbegründet war. »Für mich gibt es nur eine Erklärung, warum es dir so gut gelingt, dich in mich hineinzuversetzen, wenn ich wieder einmal diese, diese ... hab.« Bettine zuckte die Achseln, weil sie kein passendes Wort fand.
»Heute seid Ihr aber wohlauf«, stellte Katharina fest.
Bettine nickte. »Schon seit ein paar Tagen, schon vor Hogers Tod. Aber frag mich nicht, woran das liegt. Ich war ein bisschen krank, aber das ist längst wieder vorbei, Gott sei es gedankt!«
Die Art, wie sie diese Worte aussprach, ließ Katharina aufhorchen. »Ein bisschen krank?«
»Schwindelig. Und irgendwas war mit meinen Augen. Ich sah die ganze Zeit so ein seltsames Flimmern, und meine Hände haben ein bisschen gekribbelt.«
Katharina dachte an die Ereignisse auf dem Rabenstein. Auch vor ihren Augen hatte es geflimmert. Sie presste die Lippen zusammen. Bettines Gegenwart und die Sorge, es könnte eine ansteckende Krankheit sein, die Nürnberg den Wahnsinn brachte, trieb sie auf die Beine.
»Warte!« Bettine fasste nach ihrer Hand und zog sie wieder hinunter auf den kühlen Stein. »Du musst mir zu Ende zuhören.«
Achselzuckend ließ Katharina sich zurück auf die Bank fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Nachtluft roch nach Tierdung und nach dem schwachen Geruch von Schweiß und Seife, den Bettine ausströmte.
»Auch du leidest unter der melancholia , nicht wahr? Das ist der Grund, warum du mir so gut helfen konntest.«
Katharina wusste nicht, was sie antworten sollte, also schwieg sie.
»Wie äußert sie sich bei dir?«, fragte Bettine.
Plötzlich hatte Katharina das dringende Bedürfnis, sich jemandem anzuvertrauen. Jemandem, der sie verstand, der ihre Gefühle am eigenen Leib kennengelernt hatte. Kurz dachte sie an Richard, an die seltsame Kühle, die seit der Wasserprobe von ihm ausging. Dieselbe Kühle, die Egbert verströmt hatte, damals, kurz bevor er davongegangen war ...
»Ihr kennt das«, sagte sie darum. »Schuldgefühle.«
»Oh.« Bettine beugte sich ein Stück vor, um in Katharinas Gesicht zu spähen. Ihre Finger berührten Katharinas Oberschenkel. »Mir kannst du es erzählen«, sagte sie.
Katharina schluckte, dann legte sie Bettine ihre gesamte Geschichte dar, einschließlich der Tatsache, dass Mechthild Bertram geheiratet hatte und einschließlich des Grundes, warum Egbert sie verlassen hatte. »Er hielt meine düsteren Stimmungen einfach nicht mehr aus«, endete sie. »Euer Mann hatte ganz recht, als er sagte, dass ich ihn aus dem Haus gegrault habe!«
Bettine schnaubte. »Peter war ein Narr! Er hatte keine Ahnung! Aber du weißt schon, dass diese Schuldgefühle größtenteils von deiner Krankheit herrühren, oder?«
Katharina verzog das Gesicht zu einer grimmigen Maske. »Wenn ich klar denken kann, dann ist mir völlig bewusst, dass ich nicht wichtig genug bin, dass Gott wegen meiner Verfehlungen ein solches Unglück auf Nürnberg niederschickt. Aber in den düstersten Momenten ...« Hilflos zuckte sie die Achseln.
»Du glaubst, dass das, was in der Stadt passiert ist, deine Schuld ist?« Bettine riss die Augen auf.
Diesmal konnte Katharina die melancholia kommen spüren. Die Spinnweben begannen ihren Geist zu verkleben, ihre Schultern wollten nach vorn sinken. Tränen schossen ihr in die Augen. »Was, wenn dieser Inquisitor recht gehabt hat mit seiner Vermutung, es sei meine Schuld?« Sie klopfte sich mit dem Daumenballen einige Male gegen die Stirn. »Ich kann den Kopf einfach nicht vom Denken abhalten.«
Bettine tätschelte ihr Bein. »Ich weiß.« Mehr sagte sie nicht.
Ein Mann kam aus einer der Gassen und ging schweigend und ohne Gruß an ihnen vorbei.
»Weißt du inzwischen, warum ich so oft bei Joachim Gunther im Loch war?«, fragte Bettine, als er fort war.
Katharina nickte. Sie erinnerte sich noch gut an die Wirkung, die allein Gunthers Anwesenheit auf sie gehabt hatte. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie bisher gar nicht richtig um den Mann
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